Schatten über Sanssouci
hinter
diesem Kreis von Musikenthusiasten stecke derjenige, der hinter der Intrige
steckt.«
»Glauben Sie es
nicht mehr?«
»Glauben Sie es
denn? Sie wissen mehr über diesen Kreis als ich. Und wovor wollten Sie mich
eigentlich warnen?«
»Wenn wir eine Sache
aus der Betrachtung der Musik, wie sie in den Kreisen der Prinzessin
praktiziert wird, gelernt haben, dann doch dies: Musik steht nie für sich
selbst. Sie bedeutet etwas. Gefühle. Oder eben etwas Mathematisches, Zahlen.
Zeichen.«
»Aber Herr Graf,
geht es nicht um eine Hofintrige? Mein Verdacht ist, dass mich jemand aus dem
Umkreis des Königs drängen will, weil er meinen Posten haben möchte. Was soll
das mit der Musik zu tun haben?«
»Ich bin russischer
Gesandter«, sagte Keyserlingk und blickte Quantz mit einem Blick an, der
Besorgnis verriet.
»Ja, sicher. Aber
was hat das nun mit den Vorfällen zu tun?«
»Mein Verdacht mag
schwer zu verstehen sein. Aber nach dem, was ich über diesen Freiberger gehört
habe und was sonst noch so berichtet wird über die Vorfälle … Ist Ihnen
einmal der Gedanke gekommen, dass man Musik als Spionagemethode verwenden
könnte?«
»Wie bitte? Nein … Wie
soll das gehen?« Was sollte Quantz davon halten? War das ein Gedanke, der aus
Amalias und Mizlers musikwissenschaftlicher Hexenküche stammte? Er belustigte
Quantz fast ein wenig.
»Ich kann Ihnen
keine Beweise liefern, aber ich habe eine Idee. Sie besteht darin, dass Musik
doch auch Botschaften enthält, oder nicht? Nehmen wir die Musik von Johann
Sebastian Bach. An einigen Stellen in seinen Werken hat er seinen eigenen Namen
in die Musik verflochten – die Noten B, A, C und H. Meine Idee hat nun mit
einer diplomatischen Gepflogenheit zu tun. Sie wissen, dass Seine Majestät die
Botschaften, die er von seinen Vertrauten erhält, chiffrieren lässt?«
»Tut das nicht jeder
Monarch? Ist das nicht auch in Russland üblich? Sie werden die Berichte, die
Sie über den König erhalten, auch chiffriert nach Petersburg schicken.«
Worauf wollte der
Graf nur hinaus?
»Falls ich überhaupt
etwas erhalte. Seine Majestät verbietet den Gesandten anderer Mächte
bekanntlich, Potsdam zu betreten. Umso mehr wurmt es ihn, wenn es jemandem
gelingt, Soldaten – noch dazu aus seiner Leibgarde – zur Flucht zu verhelfen.
Womit wir beim nächsten Thema wären. Wer sollte ein Interesse daran haben, dem
König solche Nadelstiche zu versetzen? Ich meine die Desertion der Soldaten,
deren Ablauf völlig ungeklärt ist –«
»Bitte, mein Herr,
erklären Sie sich besser«, sagte Quantz. Was war das hier? Der Versuch, Quantz
zum Mitglied einer Gruppe von Verrätern zu machen?
»Was wissen Sie?«
»Ich weiß nichts,
lieber Herr Quantz. Ich konstruiere nur wie der alte Bach. Die Dinge müssen in
Übereinstimmung gebracht werden, damit sie einen Sinn ergeben. Die Theorie,
dass jemand Ihren Posten will, können Sie wohl vernachlässigen. Dann hätte man
anstelle des armen Lakaien gleich Sie selbst umgebracht, anstatt Sie langwierig
zu diskreditieren. Ich glaube, Ihr bedauerliches Schicksal ist nur der
Nebeneffekt eines größeren Plans. Denken Sie darüber nach, Herr Quantz.«
Die Kutsche wurde
langsamer. Sie näherten sich der Wohnung von Quantz’ Frau.
»Ich habe keine
Beweise dafür, dass Musik benutzt wird, um verschlüsselte Botschaften aus
Potsdam herauszuschaffen«, sagte Keyserlingk. »Es ist nur ein Gedanke. Aber ein
Gedanke, der fasziniert, oder nicht?«
Quantz nickte.
Sicher war das faszinierend, aber es waren nur wilde Spekulationen.
»Durchaus. Und worin
besteht nun Ihre Warnung an mich?«
Die Kutsche hielt.
Der Graf senkte seine Stimme. Was sie hier besprachen, war für die Ohren von
niemand anders bestimmt, das war Quantz klar. Auch nicht für die des Kutschers.
»Wenn ich richtig liege, dann sollten Sie wissen, dass Sie es mit Staatsfeinden
zu tun haben. Vielleicht sogar mit allerhöchsten.«
»Staatsfeinden? Aber
wer soll das sein?«
»Sie glauben
vielleicht, lieber Herr Quantz, dass jetzt mit dem neuen Schloss ›Sanssouci‹
eine neue Epoche des Friedens begonnen hat. Denn tatsächlich sieht es auch
danach aus. Der König verwirklicht allenthalben seine Bauvorhaben. Er umgibt
sich mit Geistern der Philosophie und der Wissenschaft. Aber glauben Sie
wirklich, dass die Feinde, denen er in den beiden schweren Kriegen Schlesien
abgerungen hat, diesen Verlust hinnehmen werden? Ich vertrete selbst eine
Macht, die unter Umständen zu Friedrichs Feind werden
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