Schatten über Sanssouci
keine Ahnung, welche Dinge dem König
wirklich wichtig sind. Das Wesentliche steckt hinter dieser albernen Fassade,
hinter diesem harmonischen Anstrich von Sanssouci, von Parklandschaften,
Flötenmusik und französischer Poesie. Und von dem Wesentlichen verstehen Sie
nichts, Herr Musikus. Oder vielleicht verstehen Sie davon ja gerade sehr viel.
Immerhin haben Sie gerade angesetzt, mir etwas zu erklären. Ich bin ganz Ohr.
Sagen Sie, was Sie zu sagen haben. Vielleicht lerne ich ja noch etwas hinzu.«
Es war seine einzige
Chance. Aber wie weit sollte er in seinen Erklärungen gehen? Sollte er dem Rat
auch unter die Nase reiben, dass es gar nicht Andreas gewesen war, den er dort
oben tot in Bornstedt gefunden hatte? Weyhe würde wissen wollen, wie er zu
dieser Erkenntnis kam, die er noch nicht einmal beweisen konnte. Er würde La
Mettrie erwähnen müssen. War das ratsam?
»Ich höre«,
unterbrach Weyhe Quantz’ Gedanken.
»Also gut.
Vielleicht haben Sie ja auch schon erkannt, dass Andreas Freiberger eine
außergewöhnliche mathematische Begabung besaß.«
»Ich dachte, er sei
ein Idiot?«
»Das schien nur so.
Er war in sich gekehrt, verhielt sich sonderbar, aber er hatte besondere
geistige Fähigkeiten.«
»Wenn Sie es sagen,
wird es stimmen. Wahrscheinlich haben Sie einiges mit ihm gemeinsam.« Weyhe
drückte den Rücken durch wie ein Offizier.
»Ich habe seine
Begabung selbst erst nach und nach erkannt«, sagte Quantz, ohne auf den unverhohlenen
Spott zu reagieren. »Und ich habe sie anhand einiger Arbeitsproben
herausgefunden, die von Andreas stammen.«
»Arbeitsproben?«
Quantz nickte.
»Andreas hat ein musikalisches System erarbeitet, mit dem man sehr leicht
mehrstimmige Kompositionen herstellen kann – nur mit Hilfe einer beliebigen
Zahl, mit der man sich in Tabellen die passenden Noten zusammensucht. Man kann
sozusagen eine Musik erwürfeln, die dann in perfekter Harmonie erklingt. So
etwas zu erfinden, ist eine unglaubliche Leistung, vor allem, wenn man bedenkt,
dass eine solche kompositorische Fähigkeit eine lange Ausbildung erfordert.
Andreas ist es gelungen, die komplizierten Prinzipien der ganzen Musik auf
mathematische Grundsätze zu reduzieren.«
Weyhe hob die
Augenbrauen. »Kompliziert? Eine lange Ausbildung? Eine unglaubliche Leistung?
Um die paar Menuette und Flötenstückchen zu schreiben, die sich immer gleich
anhören? Mir scheint, lieber Herr Musikus, Sie verfallen dem Fehler, Ihre
sogenannte Kunst selbst zu glorifizieren. In Wirklichkeit weiß doch jeder, dass
Ihr Musiker alles voneinander abschreibt oder auf primitive Weise variiert. Der
eine führt die Melodie aufwärts, der andere abwärts. Was ist daran so schwer?
Vor allem, wenn man den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als dieses Zeug
hinzuschmieren, und dafür auch noch gut bezahlt wird.«
Quantz ballte die
Fäuste. Er musste an sich halten, um nicht aufzuspringen und dieser kleinen
Kröte an die Gurgel zu gehen. Aber er beherrschte sich. »Dies ist nur ein
Beweis für Andreas’ Begabung, der mir in die Hände kam. Er hat seine Kunst bei
seinen Besuchen bei mir bewiesen. Dabei hat er übrigens auch die Partituren
mitgehen lassen, die man in seiner Unterkunft fand. Ich bin sicher, er hat sie
nur aus Interesse mitgenommen. Ihm war nicht klar, dass er damit etwas
Unrechtes tat. Er war einfach so sehr von der Musik und ihren mathematischen
Grundlagen begeistert … Doch wichtiger ist das zweite Dokument, das er mir
gebracht hat. Ich muss gestehen, ich habe es erst selbst nicht verstanden, doch
kam heraus, dass Andreas ein System entwickelt hat, mit dem man in einem
musikalischen Werk Texte verschlüsseln kann. Ein Chiffriersystem. Und in diesem
System hat er in einem kleinen Musikstück einen Namen verschlüsselt.«
»Einen Namen?«
»Den Namen Brede.
Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich entdeckte, wie er das gemacht hat.«
Quantz atmete durch.
Er hatte nicht erwähnt, dass La Mettrie maßgeblich an der Entdeckung beteiligt
gewesen war.
»Mit musikalischen
Zeichen Wörter verschlüsseln?« Weyhe schien alle Neigung zum Spott verloren zu
haben. Offenbar war das endlich eine Information, die er ernst nahm. »Aber das
kann doch so schwer nicht sein. Man hat soundso viele verschiedene Töne …«
»Es sind genau
zwölf«, sagte Quantz. »Und diese zwölf Töne können Sie jeweils noch in viele
Oktaven versetzen. Im normalen Umfang eines Musikstückes hat man ungefähr vier
Oktaven zur Verfügung. Sie haben also
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