Schatten über Sanssouci
Chiffrierungsmethode noch
nicht zugespielt wurde. Es ist aber der Plan der Gegenseite, dass dies
geschieht, und zwar bald. Jemand muss dem König die Sache vorstellen. Er muss
sie ihm schmackhaft machen. Nun fragen wir uns: Wer sollte das tun? Einer von
seinen Beamten? Oder ein Musikus? Wer kann das am besten erläutern?«
»Seine Majestät ist
in der Musik sehr bewandert und wird es sich wohl eher von einem Musikus
erklären lassen.«
Weyhe verzog den
Mund, seine Augen waren zu Schlitzen verengt. Der Gesichtsausdruck erinnerte
Quantz an eine Schlange, die ein Kaninchen belauert.
»Und wer sollte
dieser Musikus sein?«, sagte der Rat leise. »Welcher Fachmann aus dem Reich der
Tonkunst genießt denn das Vertrauen des Königs?«
Für einige Momente
war es vollkommen still in dem Raum.
»Wollen Sie etwa
sagen, dass –«, begann Quantz.
»Natürlich, lieber Herr Musikus. Das ist doch wohl die logische
Schlussfolgerung, oder nicht? Sie sind es, der dem
König eine Sicherheitsmethode anzubieten gedenkt, die der Feind kennt. Sie sind der Einzige, der das hätte tun können, denn Sie sind der Vertraute des Königs in musikalischen Dingen. Sie sind der Verräter, Herr Quantz. Und Sie haben mir das alles dargelegt und gerade eben über sich selbst das Urteil
gesprochen. Und Sie werden die Folgen erleiden
müssen, die auf einen solchen Verbrecher warten.«
Quantz fühlte sich,
als habe ihn jemand mit kaltem Wasser übergossen. »Das habe ich doch nicht
gemeint«, rief er erschrocken.
»Aber gesagt.«
»Aber Herr Rat. Wenn
ich selbst der Verräter wäre … Warum hätte ich Ihnen alles erklären
sollen?«
»Weil Sie eben ein
Verräter sind. Und weil Sie Ihren Kopf aus der Schlinge ziehen wollen. Seien
Sie froh, dass Seine Majestät das peinliche Verhör abgeschafft hat, sonst
müsste ich Sie dem Folterknecht übergeben, damit er aus Ihnen herausholt, was
Sie sonst noch wissen. Wo sich Brede aufhält, zum Beispiel. Wir suchen ihn. Wo
ist er?«
»Ich weiß nicht, wo
Brede ist«, schrie Quantz. »Und dass Sie mir aus meinen Erklärungen einen
Strick drehen wollen –«
»Sie haben Andreas
getötet. Mit Brede zusammen. Weil Andreas Ihr Helfer war und er die Noten
aufschreiben musste, dieses System, das Sie mir eben selbst so detailliert
erläutert haben. Und jetzt, wo er tot ist, kann er als Sündenbock herhalten.«
»Andreas ist doch
gar nicht tot«, entfuhr es Quantz.
Weyhe, dessen Blick
während seiner Ausführungen im Raum herumgewandert war, sah Quantz erstaunt an.
Dann lachte er. »Ach, nicht? Jetzt fällt Ihnen wirklich nur noch Unsinn ein.
Sie waren doch bei der Leichenschau durch Herrn Eller anwesend, durch die
Einflussnahme dieses französischen Verrückten. Der verbrannte Junge auf dem
Tisch sah nicht besonders lebendig aus, finden Sie nicht?«
Quantz holte Luft,
wollte etwas sagen, doch er schwieg. Es war sinnlos weiterzusprechen.
Weyhe stapfte mit
schweren Schritten durch den Raum, öffnete die Tür und holte seine Helfer
herein. »Sofort eine Kutsche«, befahl er.
»Sie haben gesagt,
ich kann mit dem König sprechen«, beharrte Quantz.
Weyhe kümmerte sich
nicht um ihn. »Der Musikus wird nach Berlin in Haft gebracht. Zwei Mann bei der
Wache zur Eskorte anfordern. Sofort.« Damit ging er hinaus.
Quantz blieb allein.
Eine Weile saß er auf seinem Stuhl, dann sprang er auf und ging ans Fenster.
Dieser kleine Rat
hatte tatsächlich die Macht, ihn nach Berlin zu bringen und ihn von allen
schützenden Helfern, sofern es die überhaupt noch gab, fernzuhalten.
Wohin würden sie ihn
transportieren? Nach Spandau? Würde man ihn in einen Kerker werfen?
Das wenige, das
Quantz über die preußischen Gefängnisse wusste, kannte er nur vom Hörensagen.
Man sprach selten darüber. Die Geschichten von monate- oder jahrelangem
Eingekerkertsein, von feuchten Kellern mit Ketten, die einen an den kalten
Wänden hielten, vom Dahinvegetieren im eigenen Unrat wurden wie ein finsteres
Geheimnis behandelt. Wie ein schrecklicher Alptraum, den man besser nicht zur
Sprache brachte, damit er nicht über einen selbst hereinbrach.
Und nun stand
Quantz, obwohl er noch immer in einen herrlichen Frühlingstag hinausblickte und
sich in einem königlichen Schloss befand, genau einem solchen Schicksal
gegenüber.
Würde man ihm einen
richtigen Prozess gewähren? Würde man es zulassen, dass er sich verteidigte?
Würde sich der König überhaupt für sein Schicksal interessieren?
Quantz wusste, dass
Friedrich, wenn es ihm
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