Schatten über Sanssouci
wir uns damals …«
Eine weitere
Erinnerung kehrte zurück an endloses Geschwätz, dem Quantz sich nicht hatte
entziehen können. Und nun stand er wieder hier und war dem Gelehrten und seinem
Redeschwall hilflos ausgeliefert. Er holte Luft, um sich höflich und schnell zu
verabschieden, aber Sartorius ließ ihn nicht zu Wort kommen. In der Rechten
trug er eine schwarze Ledertasche, mit der anderen Hand hielt er Quantz am
Ärmel fest, damit ihm dieser nur nicht entwich. Auch diese Unart hatte der
Professor schon damals besessen.
»Herr Quantz, Sie
sollten sich einmal überlegen, welche Möglichkeiten es böte, wenn wir uns
zusammentäten. Ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der musikalischen Wissenschaften,
meine auf meinen Gebieten – der Historie der Völker und der Altertumskunde, wie
gesagt – sehen Sie, wie ich weiß, hatten Sie ja das Vergnügen, bereits das Land
der Alten, das heilige Rom, besucht zu haben. Von dort ist es nicht weit nach
Arkadien, ins Land des Orpheus …« Sartorius redete und redete, sein grauer
Bürstenbart bewegte sich ständig auf und ab.
Quantz’ sah zu Brede
hinüber, der seelenruhig eine Kutsche anspannte und auf den Bock stieg.
Sartorius hatte
derweil das Thema gewechselt. »… meine derzeitige Arbeit hat mich nach
Potsdam geführt, aber dabei habe ich mein Augenmerk nicht auf die heutige Stadt
gerichtet, die unser gnädiger König so herrlich einzurichten geruht hat. Mein
Interesse gilt der Vorgeschichte, die genau hier, wo diese herrliche Kirche
steht, ihren Anfang nahm. Podstupim!«
In Quantz Ohren
klang das seltsame Wort nach, das Sartorius gesagt hatte.
Dieser sah fragend
zu ihm hoch. »Podstupim!«, wiederholte er und lächelte.
»Wie bitte meinen
Sie?« Es war das Erste, was Quantz zu der eigenartigen Unterhaltung beitrug.
»Der Name dieser
schönen Stadt vor vielen hundert Jahren, als die Wenden sie einst gründeten.
Hier, wo heute die Kirche steht, war der Mittelpunkt der alten Stadt. Ich
wusste, dass Sie das interessieren würde.« Er hatte Quantz’ Arm losgelassen,
aber jetzt packte er wieder zu.
Brede war mit seiner
Kutsche herangekommen und stand bereit. Offensichtlich hatte Sartorius ihn
bestellt, um irgendwohin gefahren zu werden.
»Und um auf das
eigentliche Thema zurückzukommen«, fuhr der Professor fort. »Wäre es nicht herrlich,
einiges Licht in das Dunkel der Musik der Antike zu bringen? Wie mögen wohl die
Melodien des Orpheus geklungen haben? Sie als Musikkenner, als großer Komponist,
würden sicher in diesem Großen unter Ihren Vorfahren noch Ihren Meister finden,
oder nicht? Ich könnte Ihnen da mit Rat und Tat zur Seite stehen …«
Und nach
Griechenland fahren, um dort nach den Melodien zu suchen? Lächerlich. Dieser
geschwätzige Professor hatte sich gewiss noch nie aus Brandenburg hinausbewegt.
Er war ein typischer Stubengelehrter.
»Sie lächeln, lieber
Herr Quantz, Sie lächeln. Welch eine Freude. Sie halten meinen Plan nicht für
abwegig. Übrigens ganz im Gegensatz zu Herrn de Maupertuis, dem Präsidenten der
Königlichen Akademie der Wissenschaften. Seit er in Berlin ist, kann man keine
wirklich relevanten Projekte mehr beginnen. Was hat der Mann schon geleistet,
frage ich Sie? Er ist nach Lappland gereist, hält in seiner Wohnung Affen und
beschäftigt sich damit, die Erdkrümmung und Gravitation zu berechnen. Als ob
das der Menschheit nützen würde. Die Musik des Orpheus indes … Oder denken
Sie an ein anderes Thema, das höchst interessant ist. Die Trompeten von
Jericho. Stellen Sie sich das vor: Musikinstrumente, die Mauern sprengen. Hat
es das, was das Alte Testament berichtet, wirklich gegeben? Und wenn ja –
könnte man nicht Nutzen daraus ziehen? Trompetenschall als Kriegswaffe … Daran
müsste Seine Majestät doch interessiert sein.«
Eines der Pferde
scharrte nervös mit den Hufen, und erst jetzt bemerkte der Professor, dass die
Kutsche neben ihm stand.
»Ah, mein tüchtiger
Brede. Ist Er schon bereit? Sehr gut.« Zu Quantz sagte er: »Ich kehre nämlich
nach Berlin zurück, nachdem ich dieses Areal hier in Augenschein genommen habe,
um die Burg des alten Podstupim zu rekonstruieren, verstehen Sie? Natürlich nur
im Geiste, nicht in Wirklichkeit. Aber sind nicht die geistigen Dinge oft viel
lebendiger als die vermeintlich realen? Sie sollten einmal nach Berlin kommen.
Besuchen Sie mich, wenn Sie dort sind. Und was die Musik des Orpheus betrifft … Oder
besagte mauernbrechende Trompeten …« Ohne seinen
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