Schatten über Sanssouci
Das war höchst erstaunlich nach so langer Zeit.
Wenn es Quantz
gelang, den Lakaien oder wenigstens eine Spur zu ihm zu finden, würde er
Antworten bekommen. Und sein Verhältnis zum König würde sich wieder einrenken.
Er würde Friedrich beweisen, dass Quantz ihm auch weiterhin treu ergeben war.
Der König war streng, aber gerecht.
Das Glockenspiel
der Garnisonkirche hatte schon vor über einer halben Stunde seine silbern
eingefärbten Choräle über die Stadt geschickt. Es war zwanzig vor elf.
Quantz folgte dem
Kanal. Von dem Wasser stieg ein übler Geruch auf, als wollten die schlammigen
Ausdünstungen noch immer über die großen Pläne spotten, die den alten König
Friedrich Wilhelm I. einst bewogen hatten, diesen Graben bauen zu lassen.
Er hatte Potsdam ein wenig von dem Flair der von Kanälen durchzogenen Stadt
Amsterdam verleihen wollen.
Der Soldatenkönig
hatte Holland geliebt. Das aus Backsteinen gebaute Quartier im Nordosten der
Stadt war ein sichtbares Zeichen dafür. Für eine Wasserstraße, die es mit den
prächtigen langen Grachten aufnehmen konnte, hatte es dann aber doch nicht
gereicht. Das Potsdamer Wassersträßchen war schmal, und obwohl es von der Havel
gespeist wurde und tatsächlich so etwas wie einen künstlichen innerstädtischen
Havelarm darstellte, war es sehr flach und trocknete in manchen Sommern sogar
aus. Gerade schob sich einer der flachen Lastkähne vorbei, für die der Weg
immerhin zu gebrauchen war.
Schräg gegenüber war
ein altes Fachwerkgebäude abgerissen worden. Nun sollte ein neues steinernes
Haus entstehen, wie sie der König für seine Stadt lieber sah.
Quantz kämpfte sich
durch das Gewühl aus Menschen, Pferden und Kutschen, aus Lastenträgern,
marschierenden Soldaten und aufrecht mit wichtiger Miene einherschreitenden
Bürgern.
Erst jetzt wurde ihm
bewusst, welch ein schöner Tag heraufgezogen war. Der Frühling hatte vor kurzer
Zeit noch in weiter Ferne gelegen. Es hatte so stark geregnet, als habe es die
Natur darauf abgesehen, die Stadt, die ja ohnehin von Wasser fast ganz
umschlossen war, in dem nassen Element versinken zu lassen. Jetzt spannte sich
blauer Himmel über Brandenburg, und die Luft war mild. Als Quantz in die
Lindenstraße einbog, begrüßte ihn nicht nur der süße Duft der blühenden Bäume,
sondern auch ein Schwarm von Spatzen, der sich auf dem Pflaster niedergelassen
hatte, um in den Resten von Gemüse, Brotkrümeln und Stroh herumzupicken, die
die dahinholpernden Karren verloren hatten.
Zwischen der Brandenburger
Straße und der Beckergasse war die Reihe der Bäume unterbrochen, um einem
niedrigen kleinen Fachwerkkasten Platz zu lassen. Davor standen ein paar
Uniformierte. Zwei saßen auf Bänken. Alle waren in voller Montur mit
Blechmütze, Patronentasche und dem Gewehr in der Hand.
Sie sahen müde aus.
Kein Wunder: Der Dienst, der gestern Mittag nach der Parade begonnen hatte,
dauerte vierundzwanzig Stunden und bestand aus nichts anderem als
Patrouillegehen und Herumstehen.
Es war nicht leicht,
mit Soldaten zu sprechen. Der stundenlange Drill jeden Tag auf dem Paradeplatz
hinter dem Stadtschloss, im Exerzierhaus, das sie den »Langen Stall« nannten,
oder draußen auf dem Bornstedter Feld hatte aus ihnen Automaten gemacht, die kaum
etwas anderes konnten, als in Sekundenschnelle ihre Waffen zu handhaben,
Granaten zu werfen oder blitzschnell zu knien, aufzustehen, sich hinzuwerfen,
aufzuspringen und voranzustürmen – und dann das Spiel wieder von vorn zu
beginnen.
Quantz hatte es zum
Glück nie selbst mit ansehen müssen, wenn in der Schlacht die Reihen von
Tausenden von Soldaten in schnurgerader Phalanx aufeinander zumarschierten. Wie
sie durchluden und feuerten, die Gewehre wieder fertig machten, während die
hintere Reihe über die Leichen und Verletzten der ersten nach vorn schritt und
schoss. Worüber die Ersten wieder bereit zum Feuern waren, bis die Armeen
aufeinanderstießen und für die, die das Schießen überstanden hatten, das
eigentliche Gemetzel begann – mit Bajonetten und Hauen und Stechen, Mann gegen
Mann. Das Ganze war begleitet vom prasselnden Rühren der Trommeln und den
quäkenden Oboen, den schrillen Pfeifen – einer wahren Schreckensmusik, von der
man beim Morgen- und Abendappell nur eine Ahnung bekam. Quantz hatte genug
Soldaten kennengelernt, die ihm davon erzählt hatten.
Er hielt sich gerade
und schritt auf die Wache zu. Immerhin besaß er den Vorteil, von großer Gestalt
zu sein. Unter dem Vater des
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