Schatten über Sanssouci
dieser
Ländereien hinnehmen? Oder gar akzeptieren, dass sich Preußen weiter in Europa
ausbreitet und sich weiter an die Grenzen Habsburgs heranfrisst wie ein
Geschwür?«
»Preußen – ein
Geschwür? Herr Rat!«
»Ich spreche aus der
Sicht des Feindes, Herr Musikus, verstehen Sie das nicht? Längst schmiedet man
im Verborgenen Komplotte. Habsburg sucht Allianzen, um Preußen zu einem neuen
Krieg zu zwingen. Zu einem Vergeltungskrieg. Und wenn es dazu kommt, ist es vorbei
mit der Musik und all den anderen Tändeleien.«
»Aber wir haben eine
Zeit des Friedens. Jetzt herrscht nun mal das, was Sie so abschätzig Tändelei
nennen. Der König hat Sanssouci gebaut. Er holt Philosophen und andere Geister
an seine Tafelrunde. Voltaire wird eines Tages nach Potsdam kommen. La Mettrie
ist bereits hier …«
»Und Seine Majestät
wird darüber hoffentlich nicht vergessen, welche Gefahren dieser scheinbaren
Insel der Seligen drohen. Wer beschützt den König, wenn Habsburg im Hintergrund
mit Frankreich Allianzen anstrebt, während Franzosen das volle Vertrauen des Königs
genießen und es hier von ihnen eines Tages wimmelt? Sie haben recht, Herr
Musikus, es bricht eine neue Zeit an. Aber wenn wir nicht aufpassen, ist das
eine Zeit, die weder Ihnen noch mir noch dem Staat helfen wird. Im Frieden ist
die Gefahr des Krieges am größten, denn es wird mit unsichtbaren Mitteln
gekämpft. Mit Hofintrigen, Spionage. Methoden, die Seine Majestät gern an den
anderen Höfen benutzt, die aber hier in Potsdam …«
»Auch stattfinden?«,
fragte Quantz.
»Natürlich. Endlich
haben Sie es begriffen.«
»Aber Andreas war
nur an den Noten interessiert. Nicht an anderen Dokumenten.«
»Woher wollen Sie
das wissen?«
Quantz antwortete
nicht. Hofintrigen, Spionage, hallte es in seinem Kopf nach. So etwas konnte
auch ganz andere Formen annehmen. Was, wenn Andreas gar nicht selbst die Noten
in seinem Quartier deponiert hatte? Oder wenn er zu dem Diebstahl angestiftet
worden war? Wenn es gar nicht um Geheimnisse des Staates ging, sondern um ihn,
um Quantz? Er war privilegiert unter den Musikern des Königs. Viele wären froh,
eine solche Stelle zu haben. War es denn so abwegig, dass jemand versuchte, ihn
und den König zu entzweien?
Nein, überhaupt
nicht. Auch wenn er all die Jahre geglaubt hatte, der preußische Hof sei frei
von solch üblen Machenschaften. Weil ein gewissenhafter König an dessen Spitze
stand. Doch war das eine Garantie? Gerade jetzt, wo das Hofleben im neuen
Schloss wieder an Schwung gewann, wo sich etwas veränderte, wo selbst in
Friedrichs sparsam geführten Hof etwas Glanz einzog, suchten viele die Gunst
des Königs. Und wer schon in der Gunst des Königs stand, lief Gefahr, um sein
Amt gebracht und vertrieben zu werden. Und Quantz war einer der ältesten und
höchsten Günstlinge überhaupt.
»Sie sind ein weit
gereister Mann, Herr Musikus. Sie waren an vielen Höfen. Sie kennen die
Methoden.« Weyhe richtete sich wieder auf und sah auf Quantz hinab. »Da hilft
es nicht viel, wenn Sie in die Wache marschieren und den Offizier nach Andreas
Freiberger ausfragen. Das hätte Ihnen klar sein müssen.«
»Sie spionieren mir
nach«, stellte Quantz fest.
Der Rat lächelte
kalt. »Selbstverständlich tue ich das, Herr Musikus. Ihnen, Ihrer Magd, mit der
Sie das Bett teilen, und noch vielen anderen. Ich sagte es doch: Man muss Seine
Majestät vor sich selbst schützen. Diese Aufgabe nehme ich sehr ernst, Herr
Musikus. Ich verdächtige alle. Sogar den König selbst, wenn es sein muss.«
»In der Tat«, sagte
Quantz, dem der Kopf schwirrte. »Doch ich besitze das Vertrauen Seiner
Majestät.«
Weyhe setzte sich
wieder und sah Quantz mit verschränkten Armen an. »Auch dessen können Sie nie
sicher sein. Wie gesagt – die Zeiten ändern sich.« Er griff nach dem Schreiben
und reichte es hinüber. Quantz nahm es, brach das Siegel und faltete den Bogen auf.
Er las die wenigen Zeilen. Sie waren von der Hand des Königs.
Quantz,
verzichte
heute auf die Musique.
Erwarte
Anwesenheit beim Souper der Königin in M.
Friedrich
»Sie sind wohl
in der Lage, zu interpretieren, was zwischen den Zeilen steht«, sagte der Rat.
»Kennen Sie etwa den
Inhalt des Briefes?«
Weyhe sah ihn
herablassend an. »Ich kann mir denken, um was es geht. Er verzichtet auf Ihre
Dienste.«
»Nur vorübergehend.
Beim Souper in Berlin soll ich dabei sein. Und sogar musizieren. Das wurde auch
heute Morgen noch befohlen. Sicher hat der
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