Schatten über Sanssouci
Königs wäre aus ihm vielleicht einer der berühmten
»langen Kerle« geworden, hätte er kein Talent für die Musik gehabt.
Kaum war zu
erkennen, dass er das Häuschen ansteuerte, kam Leben in die müden Grenadiere.
Plötzlich standen sie wie eine Mauer vor ihm.
»Halt«, rief einer.
»Kein Zutritt.«
»Lass Er mich vorbei«,
sagte Quantz.
»Kein Zutritt zur
Wache.«
»Lass Er mich mit
dem Offizier sprechen. Es ist wichtig.«
»Hat Er etwas zu
melden?«
Quantz nahm aus den
Augenwinkeln wahr, dass Passanten aufmerksam wurden. Gegenüber blieben ein paar
Männer in armseliger Kleidung stehen und blickten herüber. Tagelöhner, Bettler,
die gerade nichts zu tun hatten.
»Was glaubt Er, was
ich hier will?«
»Name?«
»Quantz. – In
Diensten des Königs«, setzte er hinzu, obwohl das albern war. Jeder in Potsdam
war ja im Dienste Seiner Majestät, allen voran die Soldaten hier.
Die Gruppe öffnete
sich erst, nachdem einer der Grenadiere durch die niedrige Tür in das Gebäude
gegangen war, schließlich wieder herauskam und den anderen ein Zeichen gab.
Quantz trug zwar
keinen Helm, doch auch er musste sich nach vorn beugen, als er die Stube
betrat. Drinnen schien der Frühlingstag nicht angekommen zu sein. Die beiden
Fensterchen zur Lindenstraße hin waren klein, die Gasse auf der anderen Seite
ohnehin schmal und dunkel. Die Sonne fand kaum hier herein.
An einem rohen
Holztisch saß der Offizier. Im hinteren Bereich des Raumes warteten zwei
weitere Grenadiere auf einer Bank an der Wand. Quantz hatte den Eindruck, sie
stünden kurz vor dem Einschlafen.
»Quantz? Der
Hofmusikus?« Der Wachhabende blätterte kurz in einem Buch, in dem in langen Listen
handschriftliche Eintragungen zu erkennen waren. Dann schlug er es zu.
Immerhin war er
einigermaßen bekannt. Quantz nickte.
»Sie haben etwas zu
melden?«
»Mehr eine Frage.«
Der Offizier zog die
Stirn kraus. Er legte die Hand auf die Perücke, als wolle er sich am Kopf
kratzen. Doch dazu hätte er die künstliche Haartracht abnehmen müssen, was sich
nicht schickte. Quantz kannte das Problem. Es konnte einen in den Wahnsinn
treiben.
»Vielleicht
unterhalten Sie mich damit ein wenig bis zum Wachwechsel.«
»Es geht um einen
jungen Lakaien. Andreas Freiberger. Er scheint verschwunden zu sein.« Der
Wachoffizier schwieg und sah Quantz an, dem nichts anderes übrig blieb als
fortzufahren. »Er dient oben im neuen Sommerschloss. Manchmal hat er sich in
die Stadt geschlichen, oder er hatte hier zu tun, dann ist er bis nach dem
Zapfenstreich geblieben … Kennen Sie ihn?«
»Ist das die Frage?«
»Nein, ich wollte
herausfinden, wo er ist … Wissen Sie, es ist wichtig. Haben ihn nicht die
Patrouillen schon einmal aufgegriffen, wenn er nachts in der Stadt unterwegs
war?«
Der Offizier hob
seine schwarzen Augenbrauen, die einen starken Kontrast zu der gepuderten
weißen Perücke bildeten.
»Ich würde gern
wissen, wo Sie ihn aufgegriffen haben. Daraus kann ich vielleicht schließen,
wen er noch besucht haben könnte. Und vielleicht haben Sie ihn ja auch heute
Nacht gesehen. Haben die Patrouillen nichts gemeldet?«
Quantz brach ab und
versuchte, in dem Gesicht des Offiziers zu lesen, das plötzlich ganz verkniffen
wirkte.
»Kerl!«, schrie der
Offizier los.
Einen Moment dachte
Quantz, einer der Grenadiere hinten sei gemeint. Etwas schleifte und schepperte
hinten auf der Bank. Die Soldaten waren munter geworden.
»Was geht Ihn die
Patrouille an? Was die Meldungen?« Die Stimme des Offiziers füllte den Raum wie
ein Kanonenschlag. Er stand auf, sein Säbel knallte gegen den kleinen Tisch.
»Aber –«
»Er hat kein Recht,
seine Nase in die Vorgänge der Wache zu stecken, merk Er sich das.«
Er musste seinen
Untergebenen ein Zeichen gegeben haben. Plötzlich packten sie Quantz mit
starken Armen und schoben ihn durch die niedrige Tür auf die Straße. Der Hut fiel
ihm vom Kopf, und seine Perücke verschob sich, sodass er vor den Bettlern seine
Garderobe in Ordnung bringen musste. Die Grenadiere warfen ihm den Hut
hinterher. Als Quantz sich bückte und ihn aufheben wollte, wieherten Pferde,
ein Kutscher stieß einen Fluch aus, ein Fuhrwerk kam zum Stehen. Quantz konnte
gerade noch zur Seite springen. Mit wenigen Schritten war er in der
Beckergasse. Als er den Hut aufsetzen wollte, bemerkte er einen langen braunen
Streifen, der mitten durch die Krempe hing: der Abdruck des Wagenrades.
Quantz hastete zum
Kanal zurück, verfolgt vom Glockenspiel, das nun
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