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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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aus der Nase. Der Mann hatte ihm zwar einen nassen Lappen gegeben,
mit dem er den Fluss stoppen konnte, aber es wollte einfach nicht aufhören.
Immerhin hatten die Schmerzen nachgelassen. Seine Nase fühlte sich an als habe
er Schnupfen – alles war geschwollen und verstopft. Vorsichtig atmete er durch
den Mund, tupfte immer wieder die klebrige Nässe auf und hörte dem Mann zu.
    Der Mann schien
Andreas etwas sehr Kompliziertes vermitteln zu wollen. Er verhaspelte sich und
begann immer wieder von Neuem. Erst später fiel Andreas auf, dass er von einem
Blatt ablas.
    Andreas hatte
irgendwann aufgehört, sich darüber zu wundern, dass manche Menschen die
einfachsten Dinge nicht konnten. Wenn irgendwo vierunddreißig Kartoffeln auf
einem Haufen lagen und Andreas nach einem kurzen Blick darauf aufschrieb, dass
dort eben vierunddreißig Kartoffeln lagen, dann konnte ihm das Ärger
einbringen. Man hänselte ihn, man lachte ihn aus. Man schalt ihn überheblich.
Man schlug ihn sogar. Ganz selten machte sich jemand die Mühe, nachzusehen, ob
er recht hatte. Und er hatte immer recht.
    Zum Beispiel auf dem
Markt, wenn jemand abgezählte Zwiebeln haben wollte und Andreas sofort sah,
dass der Händler zwei zu wenig in den Sack hineingab.
    Andreas hatte zwei
Lehren aus dem Verhalten der Menschen gezogen. Die Leute waren scheinbar nicht
in der Lage, die Wahrheit zu erkennen. Ihnen genügte nicht ein einziger Blick,
um zu sehen, dass dreihundertvierundachtzig Bohnen vor ihnen lagen. Und als ob
das nicht seltsam genug gewesen wäre, hatten sie oft gar kein Interesse daran,
die Wahrheit zu erfahren – eine Tatsache, die Andreas zutiefst verwirrte und
die ihn letztlich dazu gebracht hatte, gar nicht mehr zu sprechen. Unter keinen
Umständen.
    Er saß still vor den
aufgeschichteten Notenblättern – es waren vierundfünfzig – und hörte zu.
    »Hast du
verstanden?«, schloss der Mann seine Rede.
    Natürlich hatte er
verstanden. Andreas griff zur Feder und tauchte sie in das Tintenfass. Sofort
schlug der Mann zu. Das Fläschchen fiel um, ein Riesenklecks ergoss sich auf
das oberste Blatt. Frisches Blut schoss aus Andreas’ Nase, seine Augen füllten
sich mit Tränen.
    Was war los? Er
hatte genau das getan, was der Mann verlangt hatte!
    »Verdammt«, rief der
Mann. »Hast du jetzt verstanden, oder nicht?«
    Andreas nickte
heftig.
    »Dann tu endlich,
was man dir sagt.«
    ***
    Das Souper der
hohen Gesellschaft war längst im Gange, als Quantz, in einen leuchtend hellen
gelb-weißen Rock gekleidet, mit der Kutsche vorfuhr und durch einen
Nebeneingang das Schloss betrat.
    Das Personal erhielt
ebenfalls eine Mahlzeit, die aus Überschüssigem des Festmahls bestand und in
der Lakaienunterkunft eingenommen wurde: etwas Suppe, Fisch, Braten und eine
Auswahl Gemüse. Nur die teuren Desserts, wahre Kunstwerke der Konditoren,
behielten die Herrschaften für sich.
    So saß er an einem
langen rohen Holztisch auf der Bank zwischen den lärmenden Dienstboten und den
anderen Musikern und stillte seinen Hunger mit ein paar Bratenscheiben. Ein
Stück weiter hatten Bach, Graun und Mara Platz genommen. Quantz winkte zum
Gruß, aber sie schienen in Gespräche vertieft und beachteten ihn gar nicht.
    Er wurde abgelenkt,
als sich einer von den Domestiken neben ihn drängte, grob die schmutzigen
Teller zusammenschob und fettige Soße verschüttete. Quantz konnte gerade noch
aufspringen und seine Garderobe schützen.
    »Pass Er doch auf,
Kerl!«
    Der Lakai lachte
nur. »Hältst dich für was Besseres? Königlicher Querpfeifer. Pass selber auf.«
Ein paar andere Diener stimmten in das Gelächter ein.
    Quantz ging
entrüstet davon und lief durch die Botengänge in den Raum, den man den Musikern
zur Vorbereitung überlassen hatte. Er konnte die Gesellschaft der Domestiken
nicht mehr ertragen.
    Schon von Weitem
waren die Musiker zu hören, die die Zeit nutzten, um sich einzuspielen. In
wüstem Durcheinander häuften sich Instrumentenkoffer, Noten und die bereits
ausgepackten Instrumente selbst: Violinen, Violoncelli, ein Kontrabass. Zwei
Hornisten arbeiteten sich durch Tonleitern, was die Lippen geschmeidig machte.
Ein Geiger und ein Bratscher übten Passagen, wobei der eine mühsam die Töne des
anderen ignorierte. Alles zusammen ergab eine infernalische Geräuschkulisse.
Der Raum lag in einem entfernten Flügel des großen Saales, sodass die speisende
Gesellschaft nichts von dem Treiben mitbekam.
    Graun betrat den
Raum, die Geige in der Hand. Er hatte sie nach

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