Schatten über Sanssouci
starrend und vom Branntwein hingestreckt, hatte er Quantz empfangen.
»Ich frage mich,
warum du mich überhaupt geheiratet hast«, jammerte sie weiter.
Aus Mitleid, dachte
Quantz. Und weil er glaubte, dass es sich so gehörte. Aus Mitleid mit einer
jungen Witwe, deren einziger Verwandter ein kranker Vater war. Und weil er
geglaubt hatte, als Hofmusiker eine Familie gründen zu müssen.
»Glaub bloß nicht,
dass du dir ungestraft bei deiner Magd holen kannst, was du mir verweigerst«,
zischte sie. »Ich weiß alles über deinen Umgang in Potsdam. Und ich weiß auch,
dass du nach Berlin kommst, um …« Sie stockte und sprach in gespielter Zurückhaltung
nicht aus, was sie offenbar dachte.
»Was meinst du?
Etwa, dass ich zu den Huren gehe?«
Sie verzog nur den
Mund. Quantz überlegte, wo sie ihre Informationen herbekommen hatte – zumal sie
falsch waren. Nur was Sophie betraf, lag sie richtig. Aber in Berlin hatte er
wenig Zeit, sich mit anderen Frauen einzulassen, selbst wenn er es gewollt hätte.
»Ich muss mich nun
um meinen Dienst kümmern.« Er stand auf und ging die zwei Schritte zur Tür.
Wieder entstand Gepolter auf dem schmalen Gang.
»Ja, geh nur«,
brummte Anna. Ȇberlass mich meinem Schicksal. Einmal Witwe, immer Witwe. Ich
kann hier lebendig verdorren.«
Anton und Klara
hatten sich irgendwo verborgen, als Quantz in seine Kammer schritt, wo seine
Garderobe für den Abend, seine Flöte und die Noten schon bereitlagen. Er
spielte einige der Solfeggien, die er als Übungsstücke für den König komponiert
hatte, die aber auch seinen eigenen Fingern aus dem Zustand der Trägheit
halfen.
Während die Töne
durch den kleinen Raum rollten wie klingende Kugeln, drängten sich Quantz
wieder die Gedanken auf, die er den ganzen Tag so erfolgreich unterdrückt hatte.
Seine Majestät hatte
kein Interesse an seiner Musik mehr. Wie oft war es in den Jahren vorgekommen,
dass das abendliche Kammerkonzert abgesagt worden wat? Fünfmal? Sechsmal?
Meist steckten die
mysteriösen Krankheitsanfälle dahinter, unter denen der König seit den Kriegen
litt. Gicht. Plötzliches Fieber. Quantz hätte sich umhören sollen, ob sie
diesmal auch der Grund waren. Allerdings fand das Souper in Monbijou statt.
Friedrich konnte reisen, war also nicht krank.
Quantz biss sich an
einer besonders heiklen Passage fest. Es musste ihm gelingen, vor der
Hofgesellschaft den mitreißenden Hofvirtuosen abzugeben. Er musste das Publikum
verzaubern.
Längst war er zu
einem Satz aus einem seiner Konzerte übergegangen. Und es war reine Mechanik,
die er produzierte. Ohne Gefühl, das er doch in seiner Musik zu vermitteln
versuchte … Der Mensch ist eine Maschine , fiel
ihm die These von La Mettrie ein.
Er verhakte sich an
einer schweren Stelle, wiederholte sie, bis seine Finger wie ein gut geöltes
Räderwerk punktgenau die richtigen Löcher auf dem Instrument öffneten und
schlossen und sich dabei seinem Atem anpassten, mit dem er den Noten Seele
einhauchte.
Ganz versunken hörte
er, wie draußen vor seiner Kammer jemand vorbeiging. Wahrscheinlich war es
Klara, die das Geschirr im Salon abgeräumt hatte.
Anna saß wohl immer
noch in ihrem Sessel und beschäftigte sich mit ihrer Gesundheit. Sie gab nicht
nur Geld für Ärzte aus, sie hatte es sich auch zur Angewohnheit gemacht, teure
Bücher zu kaufen, um selbst medizinische Erkenntnisse zu gewinnen.
Quantz musste wieder
an La Mettrie denken. Der seltsame Franzose war ja nicht nur Philosoph, sondern
darüber hinaus Arzt – wie es hieß, mit Erfahrungen in der Armee und auf dem
Schlachtfeld. Wie würde er wohl Anna behandeln? Als Philosoph dachte er viel über
das Glück nach. Wahrscheinlich würde er ihr klarmachen, dass das Glück vor
ihrer Nase schwebte und sie es mit ihrem Reichtum doch genießen könnte, wenn
sie nur wollte. Sie aber war nicht in der Lage, es zu erkennen. Würde La
Mettrie ihr auf seine ironische Art einreden, dass sie gewissermaßen an einer
Augenkrankheit litt?
Quantz belustigte
der Gedanke dermaßen, dass er das Instrument absetzen musste. Schlagartig war
es still im Raum, sodass ein Geräusch aus einer anderen Ecke der Wohnung umso
deutlicher zu hören war. Ein rhythmisches, unterdrücktes Ächzen kam aus der
Richtung der Dienstbotenkammern. Immerhin hatten Klara und Anton die glückliche
Seite ihres Lebens erkannt.
Quantz gönnte es
ihnen. Er setzte die Flöte an die Lippen und spielte eine Begleitmusik zum
Liebesspiel.
***
Andreas blutete
immer noch
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