Schatten über Sanssouci
sich
danach richten, wie es in seinem Kopf aussah? Wenn er Zahlen oder Musiknoten
aufschrieb, dann funktionierte das doch auch …
Er öffnete die
Augen. Noch immer hielt er die Notenblätter in Händen.
Die Zeit verging. Er
verharrte in der Dunkelheit an der verschlossenen Tür. Irgendwann veränderte
sich etwas. Andreas wusste zuerst nicht, was es war, doch dann wurde ihm klar,
dass von irgendwoher ein Lichtschein in sein Gefängnis drang.
Das war unmöglich.
Es gab doch keine Fenster. Keine Öffnung nach draußen. Und doch waren die
nackten Wände jetzt in ein graues, diffuses Licht getaucht. Andreas konnte
Ecken und Kanten erkennen.
Er stand auf und sah
sich um.
Das Licht kam aus
dem eckigen Loch neben der Tür. Das Innere des Brunnens war jetzt nicht mehr
schwarz, sondern grünlich grau. Von irgendwoher wurde das Wasser, das wie eine
dicke Glasschicht wirkte, beleuchtet.
Andreas beugte sich
über den Rand. Der milchige Schein kam von der Seite, auf der sich die Wand
befand und wo die Treppe und die Tür hinführten.
Wieder vergingen die
Minuten, während Andreas nachdachte.
Das Licht wurde
stärker, es erblühte zu einem mächtigen Strahlen.
Noch mehr Zeit
verging.
Da fasste Andreas
einen Entschluss.
10
»Guten
Abend, mein Lieber, so allein?«
Quantz hatte die
Dirne gar nicht bemerkt. Jetzt stand sie neben ihm und blickte ihn aus dunklen
traurigen Augen an. Sie sagte ihr Sprüchlein ein zweites Mal auf. Er wandte
sich ab.
»Wollen Sie, dass
ich mit Ihnen irgendwohin gehe?«, fügte sie hinzu.
Quantz wurde klar,
dass sie sich schon dem Nächsten zuwandte, der die Straße Unter den Linden
herunterspaziert kam.
Er ging eilig
weiter. Er hatte gar nicht daran gedacht, eine Kutsche zu nehmen.
Der Rhythmus der
regelmäßigen Schritte ordnete seine Gedanken. Ohne auf seine Umgebung zu
achten, hatte er den Weg vom Schloss hinüber zum Rathaus und am Opernhaus
vorbei zurückgelegt und versucht, sich einen Reim auf das zu machen, was er
eben erlebt hatte.
Eine Zusammenkunft
der Musiker, auf der sie neue musikalische Wege finden wollten.
Was bedeutete es für
ihn, wenn diese gewaltige, seine armseligen Konzertchen hinwegwalzende,
musikalische Herrlichkeit am Hof Einzug hielt? Diese perfekte Mathematik der
Töne? Was bedeutete es für seine Zukunft? Hatte La Mettrie etwas damit zu tun?
Und die anderen Franzosen? D’Argens auch?
»Ein schöner Mann –
und so allein?«
Dieses
Freudenmädchen war jünger, allerhöchstens fünfzehn Jahre. Es hatte die dicke
Schicht aus Schminke noch nicht nötig, und man hätte ihm sein unmoralisches
Gewerbe kaum angemerkt, wenn es sich nicht so aufdringlich verhalten hätte. Das
Mädchen trat Quantz in den Weg, sah ihn schmachtend an, nahm seine Hand und
führte sie zu ihrer Brust.
»Siehst du nicht,
wie ich mich nach dir verzehre?«
Es sollte
verführerisch klingen, war aber nur abgeschmackt und albern. Als lese das
Mädchen eine fremde Sprache ab und hätte keine Ahnung, was der Inhalt der Worte
war. Quantz lachte, stieß sie weg und hastete weiter.
Die Musiker hatten
sich im Schloss getroffen. Das konnte doch nur bedeuten, dass die Zusammenkunft
auf höchsten Befehl erfolgt war. Niemand konnte einfach in einen Raum des
Schlosses gehen und dort nach Belieben Musik machen.
Es waren königliche
Musiker. Es war das königliche Schloss. Und es waren Soldaten dabei gewesen.
Quantz wurden die Knie weich. Der König musste von der Zusammenkunft gewusst
haben. Ein Konzert, von dem man Quantz absichtlich ferngehalten hatte? War
Seine Majestät etwa selbst bei der Zusammenkunft dabei gewesen? Hatte er den
Raum durch einen Hintereingang betreten? Aber warum diese Geheimnistuerei?
Es ist gar keine
Geheimnistuerei, dachte er. Man hatte nur ihn nicht eingeladen. Das war alles.
Man wollte ihn von seinem Posten verdrängen.
Der nächsten
käuflichen Gespielin ging er vorsorglich aus dem Weg. Er überquerte die Straße,
blieb neben einem der Lindenbäume stehen und atmete tief durch. Er war jetzt
schon weit in Richtung Tiergarten vorangekommen. Gleich musste er sich links
halten, um zu seiner Wohnung beim Potsdamer Tor zu gelangen.
Der Gedanke an Anna,
die dort auf ihn wartete, erfüllte ihn mit Ekel. Das Gefühl unterschied sich
kaum von dem, was er diesen Huren hier entgegenbrachte. Viele von ihnen waren
krank, litten an der grauenhaften Franzosenkrankheit und verbargen mit Schminke
und Perücken ekelhafte Hautausschläge. Trotzdem zog es vor allem die jungen
Soldaten immer
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