Schatten über Sanssouci
den Vorplatz des Schlosses zu. Von hier führten schmale
Treppen hinunter an die Spree. Wenn die Huren sich dort nicht gerade mit ihren
Freiern beschäftigten, bot die Stelle unter dem ersten Gewölbe ein gutes
Versteck.
Jakobs Schuhe waren
löchrig, und Strümpfe besaß er nicht, aber er konnte rennen wie der Teufel.
Geschwindigkeit war sein Kapital.
Jetzt hatte er die
Brücke hinter sich gebracht, blieb stehen und sah nach hinten. Es hatte bereits
Mitternacht geschlagen. Wer jetzt noch in der Stadt unterwegs war, hatte
entweder Böses im Sinn, war auf der Suche nach käuflicher Liebe, bot diese
Liebe an oder gehörte zu den Patrouillen. Niemandem von all diesen nächtlichen
Gestalten wollte Jakob begegnen.
Das andere Ende der
Brücke in Richtung Berlin lag still und friedlich da. Der Mann war nicht mehr
zu sehen.
Jakob hetzte die
Treppe hinab. Jemand unterdrückte ein Kichern, dort unten fand gerade ein
Stelldichein mit einem der Freudenmädchen statt. Jakob hielt sich abseits und
bewegte sich ein Stück auf dem kleinen Pfad spreeaufwärts zum Mühlendamm hin.
Dabei zählte er die Steine an der Mauer rechts neben sich.
Als er bis
einhundert gekommen war, blieb er stehen, sah sich noch einmal um und zog einen
lockeren Stein aus der Wand.
Das Versteck war für
Diebesbeute wie geschaffen. Es lag mitten in der Stadt, vor aller Augen, und
doch war es verborgen. Wenn er nachher zurück ins Waisenhaus schlich, um auf
den feuchten Strohsack zwischen seine Kameraden zu kriechen, würde er von
seinem Reichtum träumen – und davon, eines Tages fortzugehen aus Berlin,
irgendwo einen kleinen Acker zu kaufen und Bauer zu werden. Oder Holzhändler,
wie sein Vater es angeblich gewesen war. Zumindest hatte seine Mutter das immer
erzählt. Sogar noch an dem Tag, an dem sie eine eigenartige Krankheit
dahinraffte, hatte sie das erzählt. Jakob war damals erst acht gewesen. Jetzt
war er doppelt so alt, fast erwachsen. Und er würde sein Ziel mit Verbissenheit
verfolgen.
Als er den Stein,
der etwa so groß wie ein Ziegelstein war, herausgezogen hatte, bildete sich
eine Höhle, die gerade breit genug war, um die Hand hineinzustecken. Er musste
mit seinen kleinen Händen weit in die Mauer hineingreifen, bis fast sein ganzer
Arm darin verschwunden war. Erst dann trafen seine Finger auf den kleinen
Lederbeutel, der die Schätze enthielt.
Bis im Waisenhaus
geweckt wurde, bis er seine karge Morgensuppe hinunterschlingen und sich auf
den Weg in die Spinnerei in Cölln machen durfte, vergingen noch Stunden. Es
blieb ihm viel Zeit, um sich an seinen Reichtümern zu ergötzen.
Jakob öffnete das
Säckchen, griff hinein und stellte sich vor, was er bereits zusammenhatte.
Sehen konnte er die Beute nicht, dafür war es zu dunkel. Immerhin besaß er fast
drei Reichstaler in verschiedenen Münzen, die er Passanten und Huren gestohlen
hatte. Vor drei Wochen war es ihm gelungen, durch den Hintereingang in eines
der besseren Hurenhäuser zu gelangen und im ersten Stock in den Zimmern auf
Diebestour zu gehen. Während die Damen unten in der Gaststube mit ihren
Verehrern anbändelten, hatte Jakob Schmuck ergattern können. Einen Ring, eine
Brosche und eine Halskette hatte er bei sich, als er über die Treppe und den
Hinterhof davonrannte.
Es waren immense
Reichtümer. Er musste sich nur noch darum kümmern, wem er sie zu einem guten
Preis verkaufen konnte. Sie würden sicher so viel abwerfen, dass ihm ein
jahrelanges sorgenfreies Leben beschieden war. Ein prickelndes Glücksgefühl
durchfuhr ihn. Noch saß er hier, in Lumpen gekleidet, aber unter seinen
vielfach geflickten und schmutzigen Kleidern verbarg sich ein reicher Mann.
Jakob ließ das
Geschmeide und die Münzen durch seine Finger gleiten und war so sehr in seine
Phantasien versunken, dass er zu spät bemerkte, wie sich Schritte näherten.
Das Säckchen musste
wieder ins Versteck!
Er scheuerte sich
den Arm auf, als er seine Schätze wieder weit hinten in der Höhle verstaute,
dann fand er vor Aufregung den Stein nicht, mit dem er das Loch in der Mauer
verschließen musste. Normalerweise legte er ihn gleich zu seinen Füßen ab. Doch
jetzt tastete er hilflos auf dem Boden herum.
Ein eiskalter
Schrecken erfasste ihn, als ihm klar wurde, dass sich von der einen Seite zwar
Schritte näherten, auf der anderen jedoch schon jemand neben ihm stand.
Wahrscheinlich schon eine ganze Weile. Eine dunkle Gestalt trat zwischen Jakob
und das glänzende Wasser der Spree.
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