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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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Fugenmanier. Jeder Ton war ein Stern am Himmel, der sich nach
einem geheimnisvollen System, nach verborgenen mathematischen Mustern bewegte.
    Quantz stand
stocksteif in der Leere, die ihn umgab. Er hatte alles erwartet, aber nicht
das.
    Es war das Thema,
über das vor einem Jahr Seine Majestät den großen Johann Sebastian Bach zu
improvisieren gebeten hatte.
    Und es war dasselbe
Thema, das Andreas in der Nacht aufgeschrieben hatte, als er bei ihm gewesen
war.
    Die Erinnerung daran
schob sich als weiteres Rätsel in seine Gedanken. Und dieses Rätsel bestand
nicht nur darin, wie der Lakai an das Thema gekommen war und wie er es sich
hatte merken können nach so langer Zeit. Eine Tonfolge, die man nicht einfach
im Kopf behielt wie ein Liedchen. Es war ein Thema, das an
sich rätselhaft war und in dem eine ganze Wissenschaft steckte. Alles,
was man über Musik überhaupt wissen musste, steckte darin. Das Thema hatte
selbst den großen Bach ins Schwitzen gebracht, der kaum damit gerechnet haben
dürfte, dass ein Liebhaberkomponist wie der König ihm so etwas vorlegte.
    Und es war ja auch
nicht der König gewesen, der sich diese Tonfolge ausgedacht hatte, sondern Carl
Philipp Emanuel – Bachs Sohn, der jahrelang im Schatten des großen Kantors und
Vaters gestanden hatte.
    »Ich
werde es ihm zeigen.«
    Während die Fuge da
drinnen immer weiterging, war mit einem Mal Carl Philipp Emanuel Bachs Stimme
in Quantz’ Kopf.
    »Ich
werde es ihm zeigen. Jemand muss ihm endlich Grenzen setzen.«
    Die Musik floss
dahin, und sie trug die unverwechselbare Handschrift dessen, der einst daran
gescheitert war. Das war etwas ganz anderes als das, was Quantz seit Jahren zu
Papier brachte. Das war nicht einfach eine galante Flötenmelodie mit devoter,
manchmal etwas vorlauter Streicherbegleitung. Hier herrschte die strenge
Verflochtenheit der einzelnen Stimmen, die prächtig miteinander harmonierten
und von denen jede einzelne eine großartige Melodie für sich darstellte, wobei
die einzelnen Teile aus immer den gleichen Bausteinen organisch erwuchsen. Es
war die hohe Kunst des Kontrapunkts, die hier einen wahren Triumph feierte.
Eine Stimme nach der anderen kam hinzu, bis Quantz die Fülle von sechs
weitverzweigten Melodien zählte, die gleichzeitig in strahlender Harmonie ihren
Weg gingen.
    Ein Jahr war es her,
dass der große Johann Sebastian Bach Potsdam besucht hatte. Kaum war der alte
Leipziger Thomaskantor über die Potsdamer Lange Brücke in die Stadt gefahren
und hatte sich ordnungsgemäß am Tor gemeldet, da kam von Seiner Majestät die
Order, er habe umgehend im Schloss zu erscheinen.
    Es war die Zeit des
abendlichen Kammerkonzerts. Quantz war wie immer zugegen gewesen, und ihm war
sofort klar geworden, dass der König Bach weniger als ernsthaften Meister der
universellen Harmonie betrachtete, sondern eher als ein Wundertier, das in der
Lage war, Thema um Thema so mathematisch wie sonst kein anderer miteinander zu
verknüpfen und als Fuge und Kanon zu bearbeiten. Und das mit einer Raffinesse,
die man nur als genial bezeichnen konnte.
    Carl Philipp Emanuel
Bach hatte genau in diese Kerbe gehauen und mit einem seltsam verschlagenen
Gesichtsausdruck gesagt: »Eure Majestät kann ihm jede Notenkombination geben,
und er wird aus dem Stegreif eine Fuge am Klavier spielen.« Dabei hatte er
seinen von der Reise entkräfteten, alten Vater kalt angelächelt und sogar auf
ihn gedeutet wie ein Dompteur, der einen Affen vorführt. Quantz hatte der alte
Bach leidgetan, der demütig dastand und nach unten blickte – ganz der Diener
voller Ehrfurcht vor gekrönten Häuptern.
    Der König hatte den
Hinweis aufgenommen. »Ich habe davon gehört.« Und in diesem Moment schwang
zwischen dem Hofcembalisten und seinem Dienstherrn so etwas wie tiefes
Verständnis mit. Quantz konnte es nicht in Worte fassen, aber heute war ihm
klar, dass es etwas mit dem Kampf zwischen Vater und Sohn zu tun hatte.
    Friedrich hatte
unter der väterlichen Härte als Prinz gelitten. Und Carl Philipp Emanuel als
Musikschüler.
    »Ich werde es ihm
zeigen«, hatte Bach Quantz zugeflüstert, und er arbeitete ein kompliziertes
Thema aus, gab es dem König und legte ihm nahe, es dem alten Herrn zum
Improvisieren zu geben.
    Johann Sebastian
Bach, der Stunden um Stunden von Leipzig in der Kutsche gesessen hatte und eher
Ruhe, die Gesellschaft seines lange vermissten Sohnes und etwas für das
leibliche Wohl verdient hätte, wurde sofort zum König gebracht, um eine
Improvisation

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