Schatten über Sanssouci
wieder zu ihnen. Es hatte viele Versuche gegeben, das Treiben
der Huren zu verbieten. Doch wenn man sie von den Straßen vertrieb, zogen sie
sich in Wirtshäuser oder Kaffeestuben zurück. Und niemand konnte entscheiden,
wo ein kleines Techtelmechtel mit Geschenken an eine Auserwählte aufhörte und
geschäftsmäßige Hurerei begann. Da war auch der König mit seinen Vorschriften
und Paragraphen machtlos.
»Du siehst traurig
aus. Soll ich dich fröhlich machen?«
Die Frau hatte
hinter dem nächsten Baum gestanden und Quantz wahrscheinlich schon seit Minuten
im Blickfeld gehabt. Es war zwar Nacht, aber hier war die Straße noch recht gut
von Öllampen beleuchtet. Und die Huren waren darin geübt, mögliche Freier zu
erkennen. Mit den Hüften schwenkend kam sie auf ihn zu. Quantz, hin- und hergerissen
zwischen der Vorstellung, nach Hause zu seiner Frau zu gehen und hier auf der
Straße noch ein wenig nachzudenken, blieb einfach stehen.
»Hat man dir
wehgetan? Mein Lieber, denke daran, wir sind zur Freude geboren, nicht zur
Traurigkeit.«
Sie trat ins Licht.
Quantz erschrak über das faltige Gesicht, das mit einer Schicht aus hartem Weiß
übertüncht war, die Augenbrauen dunkel nachgezogen, die Lippen blutrot. Sie
wirkte wie der leibhaftige Tod.
»Meine Spezialität
ist die Unterhaltung«, sagte sie, als sie Quantz’ Schrecken bemerkte. »Etwas
anderes will kaum noch jemand von mir.« Zur Krönung öffnete sie ihren Mund, in
dem dunkle Stümpfe glänzten. »Du bist vom Hof des Königs, habe ich recht?«
Es war doch besser,
weiterzugehen.
»Ich kenne dich. Du
bist der Pfeifer. Der Flötenspieler.«
Quantz hatte sich
schon abgewandt. Jetzt drehte er sich überrascht um. »Woher …?«
»Das willst du nicht
wissen.«
»Warum nicht?«
»Weil es deine edlen
Kreise stört. Du genießt es, dich hier in der Dunkelheit in der Verruchtheit
unserer Welt zu bewegen, aber morgen ist es nur noch ein Traum. Bis dich das
Verlangen wieder zu uns treibt.«
Die Frau sprach
ziemlich erlesen, das musste man ihr lassen. »Sag mir, woher du mich kennst.«
»Ich war Köchin im
Schloss. Vor Jahren. Ich habe dich spielen hören.«
»Als Köchin? Im
Musikzimmer? Ausgeschlossen. Du lügst.«
»Wir sind die
Dienstbotentreppe hinaufgegangen und haben gelauscht. Es war zu schön.«
»Und wie kommst du
hierher?«
»Ich wurde
schwanger. Den Rest will ich dir ersparen. Er passt nicht in die Welt, von der
deine Musik erzählt. Du solltest hier nicht sein.«
»Ich gehe nur nach
Hause.«
»Du hättest eine
Kutsche nehmen sollen. Es ist nicht ungefährlich bei Nacht in der Stadt.«
»Aber es ist eine so
herrliche Mainacht …«
»… die den
seltsamen Gesellen da hinten nicht davon abhält, dich zu verfolgen. Dreh dich
nicht sofort um. Tu so, als würden wir uns weiter unterhalten.« Die Dirne sah
ihn keck an und lächelte, als würde sie ihm weiter Avancen machen.
»Was tut er?«,
fragte Quantz.
»Er ist näher
gekommen«, flüsterte sie.
»Kannst du ihn
beschreiben?«
»Groß, schlank. Ich
habe vorhin bereits gesehen, dass er dich verfolgt. Ich bin nämlich auf dieser
Straßenseite neben dir hergegangen, musst du wissen. Schon seit dem Opernhaus.
Offiziell sind wir ja nur Spaziergängerinnen.«
»Die mitten in der
Nacht unterwegs sind. Ohne Herrenbegleitung.«
»Die ist uns eben
gerade abhandengekommen. Was können wir dafür, wenn unser Galan die Flucht
ergreift und wir Herren ansprechen müssen, die uns nach Hause bringen? Ich
glaube, dein Verfolger zieht sich zurück.«
War das der
Schatten, den Quantz auch in der Nähe des Tors gesehen hatte? »Was meinst du,
was er wollte? Mich ausrauben?«
»Wer weiß das
schon?«
»Danke für deine
Hilfe. Ich gehe jetzt.«
»Vielleicht könnten
wir doch noch ins Geschäft kommen. Du wirst dich hinterher sehr gut fühlen.«
Sie senkte den Blick. »Du musst mich nicht ansehen dabei.«
»Danke, aber danach
ist mir nicht.«
»Schade. Au revoir , Herr Flötist.«
Quantz murmelte
ebenfalls einen Abschiedsgruß und überquerte die Straße, die hier – in der Nähe
des Brandenburger Tores – kaum noch belebt war. Kein Verfolger war zu sehen. Ob
ihn die Dirne belogen hatte, um länger mit ihm sprechen zu können?
Er hastete weiter,
seine Lungen schmerzten, er geriet außer Atem. Die Straßen wurden dunkler, hier
gab es weniger Beleuchtung. Er folgte der Mauerstraße. Fast vollständig mit dem
Nachthimmel verschmolzen, schälte sich ein riesiges, steinernes Ei aus den
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