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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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Noten auf und wandte sich an Bach und die anderen. »Mein Konzert in C.«
    Quantz schlich
demütig in seine Ecke, wo er der Musik stets zuzuhören pflegte. Das Vorspiel
setzte ein, doch die Musiker spielten angespannter und steifer als sonst. Das
lebhafte Thema, das eigentlich frisch und fröhlich über Stock und Stein
dahinlaufen sollte, marschierte langsamer, eher gepresst und verhalten. Auch
als der König einsetzte, verbesserte sich der Ausdruck der Darbietung nicht.
    Quantz starrte in
den dunkelblauen Abendhimmel jenseits der großen Fenster. Er zwang sich, seine
Gedanken auf die Komposition zu lenken, die Seine Majestät unter seiner
Anleitung geschaffen hatte. Es lag eine besondere Idee in dem Werk:
Normalerweise setzte in einem Konzert das Soloinstrument nach dem Vorspiel mit
derselben Melodie ein, mit der die Streicher das Stück eröffnet hatten. Hier
jedoch war der Einsatz losgelöst von dem vorgegebenen thematischen Material. Es
war, als beginne der Herrscher mit seinem Einsatz ein ganz neues Stück, mit
eigenen Gedanken und eigenen roten Fäden, an die sich die Soli in steigendem
Schwierigkeitsgrad anschlossen.
    Das letzte Solo barg
besondere Herausforderungen. Es handelte sich um eine schier endlose Kette
schneller Sechzehntelnoten, die recht schwierig zu greifen waren – vermischt
mit langen Abschnitten, in denen dem Solisten der Atem knapp werden konnte.
    Während des
Zwischenspiels der Streicher und des Klaviers pausierte der König und starrte
auf die von Kerzenflammen beleuchteten Noten. Er hatte die Flöte in die rechte
Hand genommen und schlug sie immer wieder leicht in die geöffnete linke. Er war
zu verkrampft. So würde er das Solo nicht schaffen.
    Friedrich begann.
    Lange bevor es
eintrat, konnte Quantz ein bevorstehendes Stolpern vorausahnen. Irgendwo mitten
in dem Solo geschah es: Der König übersah ein Atemzeichen und hatte nicht mehr
genug Luft, um den Rest der schnellen Notenkette ohne Unterbrechung abzuspulen
– und ein mechanisches Abspulen war es ohnehin, was der König heute vorlegte.
Das war kein emotionales, mitfühlendes Musizieren. Es wirkte, als wolle
Friedrich mit Gewalt die Noten abliefern, die dort standen.
    Und schließlich
brachte der verpasste Atemzug die ganze nächste Passage zum Erliegen. Friedrich
verzögerte seinen Einsatz um noch eine Achtel, Graun an der ersten Geige
versuchte zu korrigieren. Bach, der versierte Improvisator, reagierte schnell
und zog mit, aber die anderen spielten noch einige Momente versetzt und falsch
weiter, bis alles in heilloses Durcheinander geriet.
    »Aufhören«, rief der
König, weil niemand wagte, das Musizieren einzustellen. Jedem war klar, dass
Friedrich der entscheidende Fehler unterlaufen war.
    Quantz hielt es als
Flötenlehrer des Monarchen für seine Pflicht, seine Meinung kundzutun.
»Majestät, wenn Sie wünschen, zeichne ich Ihnen deutlichere Atemzeichen ein.«
    »Das war bisher
nicht nötig und wird auch jetzt nicht nötig sein«, brummte Friedrich. »Wenn der
Lehrer versagt, darf es der Schüler dreimal. Von vorn.«
    Quantz war fast
erleichtert, dass Friedrich nun doch noch das Ereignis aus Berlin zur Sprache
brachte. Vielleicht war damit alles vorbei und vergeben und vergessen.
    Die Musiker schienen
beim zweiten Anlauf mehr Konzentration aufzubringen. Die Heiterkeit, die der
König – wie er Quantz versichert hatte – in dem Thema zum Ausdruck bringen
wollte, kehrte zurück. Auch Seine Majestät schien davon angespornt zu sein. Er
legte das Solo mit Bravour hin, sodass Quantz in das Nachspiel der anderen
hinein applaudierte.
    Der letzte Ton war
noch nicht verklungen, da öffnete sich die Tür zum angrenzenden Audienzzimmer,
und ein Lakai trat herein mit einem silbernen Tablett in der Hand, auf dem ein
zusammengefaltetes Papier lag. Die Szene erinnerte an die Ankunft des alten
Bach, damals, vor etwa einem Jahr, im Stadtschloss.
    Friedrich las, was
auf dem Zettel stand, legte die Flöte auf den Flügel und rief in Richtung Tür:
»Ich lasse bitten. Soll aber noch warten.« Zu den Musikern gewandt sagte er:
»Das Konzert ist beendet. Au revoir . Quantz, Sie
bleiben noch.«
    Die Musiker
verneigten sich und zogen sich zurück. Seine Majestät hatte bereits die Tür zu
seinem Arbeits- und Schlafzimmer geöffnet und winkte Quantz, ihm zu folgen.
    Drinnen sah er ihn
streng an. »Was ist mit Ihnen los?«
    »Was meinen Sie,
Eure Majestät?«
    Friedrich setzte
sich an seinen Schreibtisch. »Ich meine, dass etwas mit Ihnen los ist,

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