Schatten über Sanssouci
und Palästen und mit einer Pracht, die Quantz’ Kunst spielend in
den Schatten stellte. Sie brauchten nur ein paar Töne anzuschlagen und waren
Herrscher in ihrem selbst geschaffenen Reich.
Wie lächerlich war
der Gedanke, den alten Bach mit einem komplizierten Thema vor dem König
bloßzustellen. Hatte Carl Philipp Emanuel wirklich nur im Sinn gehabt, sich an
seinem Vater zu rächen? War es nicht eher sein Ziel gewesen, etwas von seinem
Vater zu lernen, um dem König dann eine Musik zu präsentieren, die alles, was
bisher in der königlichen Kammer, im Opernhaus, bei den Soupers oder sonst wo
erklungen war, übertraf? Und damit die Kunst von Quantz diskreditierte?
Was Quantz im
Berliner Schloss erlebt hatte, war eine Probe gewesen. Die Probe für eine neue
königliche Musik, die die Hofmusiker ausbrüteten und wie einen Schatz zu hüten
wussten. Unter geistiger Anleitung des alten Bach, der fast erblindet in
Leipzig saß, im Kopf jedoch offenbar noch so rege war, dass er seinem Sohn hier
in Berlin auf brieflichem oder sonstigem Wege Ratschläge erteilen konnte. Ganz
offensichtlich brüteten sie so lange, bis das Ganze reif war, um dem König
vorgeführt zu werden.
Irgendjemand vom Hof
musste die Musiker bei ihrem Plan unterstützen, sonst hätten sie keine
Erlaubnis bekommen, ihre Zusammenkunft im Schloss abzuhalten.
Und wenn sie diese
Unterstützung genossen, war Quantz machtlos. Er musste auf andere Weise das
Vertrauen des Königs wiedererlangen.
Er dachte an La
Mettrie. Wie er und die Musiker hinter seinem Rücken miteinander getuschelt und
die Informationen für das Treffen ausgetauscht hatten.
In einem Anfall von
Zorn riss Quantz das leere Notenpapier vom Pult, knüllte es zusammen und warf
es in die Ecke. Schwer atmend schritt er durch die Stube. Er brauchte eine Idee
für ein neues Konzert. Sofort. Aber nichts wollte sich einstellen. War man denn
so sehr davon abhängig, dass einem die Ideen kamen ?
Führten sie ein Eigenleben? Konnte man sich nichts ausdenken ?
Sein Blick fiel auf
den Stapel Noten, den Andreas bei ihm gelassen hatte. Welche Rolle nahm dieser
seltsame Lakai in diesem Spiel ein?
Quantz sah die
eigenartigen Tabellen durch, die Andreas auf dem Papier angeordnet hatte.
Lauter einzelne Noten waren das, die keinen Sinn ergaben. Er konnte sie
studieren, so lange er wollte.
Eine neue Welle des
Zornes erfasste ihn, als er an La Mettries Stube dachte. Diese Mengen an
Papier, die der Franzose zu füllen verstand, als ob das gar nichts wäre. Diese
Produktivität! Der Gedanke tat ihm fast körperlich weh, dass nur ein Stück
weiter am Kanal entlang ein Mann in seinen Ideen badete, so wie Quantz es
früher selbst getan hatte. Vielleicht wurde er einfach alt. Mit dem Alter
konnten die Gedanken austrocknen.
Nein! Er würde nicht
aufgeben.
Es musste einfach ein neues Konzert in ihm schlummern, da war
er ganz sicher. Es ging ja nicht darum, alles neu zu erfinden. Eine Tonfolge,
ein kleiner Einfall reichte schon. Wenn die Melodie sich in seinem Hirn
festsetzte, würde sich der Rest von selbst abspulen. Die
Orchesterzwischenspiele wurden aus dem Hauptthema gespeist, die Solopassagen
begannen mit freien Variationen …
Er dachte einfach zu
viel über das Handwerk nach. Lieber sollte er seiner Eingebung vertrauen.
Irgendwo war sie doch, die Quelle, die ihn mit immer neuer Musik versorgte.
Er stand auf, eilte
zum Stehpult, legte Papier zurecht.
Acht Töne hatte die
Tonleiter.
Beginne
mit dem Grundton …
Er schrieb einen Ton
hin. Ein D. Sollte das Stück eben in D-Dur stehen. Warum nicht?
Ein einfacher
Dreiklang aufwärts, wie eine Fanfare. Schreib es hin.
Quantz zögerte. Der
König wünschte keine Fanfarenmotive.
Das
hast du schon so oft geschrieben. Es ist keine Musik. Es ist reines Material.
Wie ein Haufen ungeordneter Steine, der kein Haus ergibt.
Er ballte die
Fäuste. Unbändiger Bewegungsdrang erfasste ihn. Ihm wurde eng um den Brustkorb.
Luft. Raus hier.
Er öffnete die Tür,
eilte die Treppe hinunter.
»Sie wollen noch
ausgehen?« Sophie stand in der Tür zu ihrer Kammer.
»Ich bin bald
zurück.«
Als Quantz auf die
Straße trat, traf die kühle Abendluft auf sein erhitztes Gesicht.
Die Nacht war
hereingebrochen, der Zapfenstreich war längst vorüber. Die Bürger hatten sich
brav in ihre Häuser zurückgezogen. Doch er war kein braver Bürger. Er war ein
Musikus, der seinem König ein Konzert schuldete.
Quantz folgte dem
Kanal in Richtung Hauptwache. Er hatte nur diesen
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