Schatten über Sanssouci
die Augen, und als er sie
wieder öffnete, erschien der Mann in der niedrigen Tür und zwängte sich herein.
Seine dicke Gestalt füllte fast den ganzen Raum aus.
»Hab ich’s nicht
gesagt? Ich wusste, dass du zurückkehren würdest.«
Andreas drängte sich
ans Fenster. Vielleicht konnte er einfach hinausspringen. Doch da packte ihn
der Mann und hielt ihn mit eisernem Griff fest. Es war zu spät. Als Andreas
aufschrie, holte der Mann aus und schlug zu.
Dann wurde alles
still und dunkel.
12
Nach einer
kurzen Probe brachen sie zum Schloss auf. Quantz saß wie immer neben Bach in
der Kutsche, und als sie sich auf der Brandenburger Straße dem Tor näherten,
hatte er schon mindestens hundert Mal vorgehabt, den Cembalisten auf die
Ereignisse im Stadtschloss anzusprechen. Um sich dann hundert Mal wieder zu
beherrschen und es zu lassen.
Er musste erst mehr
Informationen in der Hand haben und mehr darüber erfahren, was hinter seinem
Rücken im Gange war. Wenn es sich wirklich um eine Intrige handelte, war es
sicher unklug, Bach und damit die ganze Gegenseite wissen zu lassen, dass er
das Treffen im Berliner Schloss belauscht hatte. Und wenn es eine harmlose
Sache war, hatte eine direkte Konfrontation noch weniger Sinn. Bach würde
untrüglich spüren, dass Quantz sich ausgeschlossen fühlte und um seine Position
fürchtete. Wenn er nur wüsste, wie La Mettrie damit zusammenhing …
Die Kutsche bog auf
den Weg hinauf zum Schloss ab. Alles schien so zu sein wie immer. Doch das
Hochgefühl, die angenehme Erregung, die ihn sonst auf dem Weg zum königlichen
Kammerkonzert ergriff, war schwächer. Stattdessen erfüllte ihn dunkle
Bangigkeit. Quantz wurde die Vorstellung nicht los, dass ihm im heutigen
Konzert irgendetwas bevorstand. Eine Art von Verwarnung, eine Bloßstellung, die
Seine Majestät manchmal mit einer geradezu diebischen Freude an seinen nächsten
Bediensteten übte.
Sie brachten die steile
Auffahrt zum Ehrenhof hinter sich, stiegen aus und gingen ins Vestibül, um auf
den Befehl zu warten. Man rief sie in den Marmorsaal, und kurz darauf geschah
etwas, was selten vorkam: Der Monarch persönlich öffnete ihnen die Tür zu
seinen Gemächern.
Im Musikzimmer
brannten schon die Kerzen. Quantz trat zu Friedrich, der genau unter dem
goldenen Spinnennetz stand. Er schlug die Mappe mit den Noten der Stücke auf,
die sie heute musizieren wollten.
»Mein lieber Quantz,
ist das etwa alles?« Der Blick aus den blauen Augen des Königs wirkte ernst.
»Wie meinen Sie …?«
»Ich meinte, mich
klar ausgedrückt zu haben. Wo ist das neue Konzert, das ich befohlen hatte?«
Die anderen Musiker
senkten die Köpfe und erstarrten zu bewegungslosen Figuren.
»Das neue Konzert … Ich
dachte, Sie hätten befohlen, erst einmal das letzte Werk zu studieren.«
»Sie haben einen
Abend Zeit gehabt«, sagte Friedrich, und seine Stimme besaß jetzt einen fast
wohlwollenden, freundlichen Klang. Nur wer ihn nicht gut kannte, ließ sich
dadurch täuschen. Quantz unterlief dieser Fehler nicht. »Ich habe Ihnen einen
Abend Urlaub gegeben, erinnern Sie sich? Ihnen allen hier. So kann ich doch
erwarten, dass das nächste Konzert akkurat vorbereitet wird.«
»Sicher sind wir
vorbereitet, Majestät, sehr gut sogar, aber –«
»Und doch haben Sie
darauf verzichtet, mir eine neue Komposition zu schreiben.«
»Sie ist … im
Entstehen begriffen, Eure Majestät. Ich werde es sehr schnell ausgearbeitet
haben. Sie können sich darauf verlassen. Morgen –«
»Ach was, morgen.
Morgen geht vielleicht die Welt unter. Was zählt, ist die Gegenwart. Und was
zählt, ist Ihr Gehorsam, den Sie in all den Jahren stets bewiesen haben und den
ich Ihnen teuer bezahle. Zweitausend Taler sind kein Pappenstiel. Auch für mich
nicht. Leider wurde in preußischen Ställen noch kein Esel geboren, der goldene
Taler scheißt.«
Musste er das Thema
Geld ansprechen? Quantz hatte bemerkt, wie Bach und seine Kollegen
zusammengezuckt waren. Wenn Friedrich unmissverständlich zum Ausdruck brachte,
dass sein Hofflötist im Reichtum schwamm, verstärkte das den Neid nur noch.
»Wie dem auch sei«,
fuhr der König fort, »Sie haben mich verstanden. Beginnen wir mit dem, was wir
haben. Das C-Dur-Konzert, bitte.«
»Aber um Ihre
Fertigkeiten auf der Flöte zu verbessern, Majestät, wäre es angebrachter,
zuerst das neuere Stück in G-Dur zu wiederholen –«
»Unterbrechen Sie
mich nicht. Gehorchen Sie. Damit wäre ich schon zufrieden.« Friedrich schlug
die
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