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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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Wahrheiten, sondern wurde angeblich durch die
Erziehung bestimmt. Diese Gedanken passten genau zu den Unterhaltungen, die La
Mettrie und d’Argens in der Kutsche geführt hatten.
    In Quantz’ Abscheu
mischte sich Bewunderung. Hatte La Mettrie das alles hier in Potsdam
geschaffen? Es waren Hunderte, vielleicht an die tausend Papierbögen in diesem
Raum. Wie konnte der Franzose nur schreiben und schreiben – scheinbar ohne
Unterlass und ohne ins Stocken zu geraten? Gut, die Ideen waren gottlos. Sie
waren absurd, und sie waren verbrecherisch. Aber das minderte nicht Quantz’
Staunen über die gewaltige Produktivität.
    Als habe er nach dem
Geheimnis gesucht, das den Franzosen in den Stand dieser Gnade versetzte,
entdeckte er hinten auf dem Schreibtisch eine Reihe von Glasflaschen, die wie
Behältnisse für Medikamente aussahen.
    La Mettrie war Arzt
– warum sollte er also keine Medizin aufbewahren? Quantz kniff die Augen
zusammen und versuchte, die Aufschrift auf einem der Etikette zu lesen. Das
benutzte Wasserglas, das neben den Flaschen stand, zeugte davon, dass La
Mettrie diese Medizin selbst einnahm.
    Unten im Gasthaus
schlug eine Tür.
    »Liese ist zurück«,
sagte Schulze und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Bitte … Gehen
wir jetzt.«
    Quantz nickte und
folgte dem Wirt die Treppe hinunter. Unten am Ausgang verabschiedeten sie sich.
Schulze nahm Quantz noch einmal das Versprechen ab, etwas gegen La Mettries
ungebührliches Verhalten zu tun – oder mindestens dafür zu sorgen, dass der
Franzose woanders Unterkunft nahm.
    Quantz war
gerade in seine Stube getreten, da betrat Sophie das Zimmer. »Eine Nachricht
vom König«, sagte sie.
    Quantz’ Herzschlag
beschleunigte sich, als er das Siegel aufbrach. Es war der Befehl zum
Kammerkonzert am heutigen Abend. Er atmete auf. Wenigstens ein Lichtblick.
Seine Majestät schien ihm das Versagen in Monbijou verziehen zu haben.
    Die anderen Musiker
hatten das Schreiben sicher auch erhalten und würden bald zur Probe hier
eintreffen. Der Tag würde lang werden.
    Müdigkeit erfasste
ihn. Er war schon sehr lange auf den Beinen. So ging er in die Schlafstube nach
nebenan, legte sich hin und verfiel bald in einen unruhigen Schlummer. Im Traum
war er ein fleißiger Komponist, der mühelos Notenblatt um Notenblatt füllte,
und dabei entstanden die herrlichsten Konzerte. Und alles gelang ihm durch ein
rötlich braunes Wundermittel aus der Apotheke.
    Die Tinktur, die man
aus Opium gewann.
    ***
    Niemand kümmerte
sich um Andreas, der in den einfachen Kleidern eines Fischergehilfen durch die
Stadt ging. Er war jetzt ein anderer, nicht mehr der Lakai. Das Bündel mit der
Livree trug er in der Hand. Den Stapel Papiere hatte er unter dem Hemd
verborgen.
    Herr Quantz war der
Einzige, der verstehen würde, was Andreas aufgeschrieben hatte. Nur er konnte
Andreas helfen. Am Schloss und an der Nikolaikirche vorbei gelangte Andreas an
den Kanal und folgte ihm bis zur grünen Brücke, wo gleich gegenüber von Quantz’
Haus ein Gebäude abgerissen wurde.
    Genau in dem Moment,
als er hinübersah, öffnete sich die Tür. Der Kammermusiker trat auf die Straße
und ging davon.
    Sofort regte sich in
Andreas der Impuls, Herrn Quantz hinterherzulaufen. Doch was er vorhatte,
konnte er nicht hier draußen erledigen. Er musste Herrn Quantz in der
Schreibstube abpassen, um ihm alles mit Tinte auf Papier niederzulegen.
    Er hatte noch nie
verstanden, wie es anderen Menschen gelang, sich allein durch Worte so deutlich
auszudrücken, dass andere genau verstanden, was sie meinten. Für ihn lag der
Sinn der Dinge niemals hinter Wörtern, sondern immer hinter den
Übereinstimmungen zwischen Dingen. Oder den Übereinstimmungen von Zahlen. Die
Harmonie, die sich beim Zusammenklang mehrerer Töne ergab und die etwas Neues
war, das in diesem Moment entstand – und die mit anderen guten
Übereinstimmungen, etwa zwischen verschiedenen Farben oder Formen auf einem
Gemälde, ihre Entsprechung fand.
    Herr Quantz war
schon in der Ferne verschwunden. Vom Kellertor her näherten sich Gruppen von
Soldaten.
    Auch tagsüber waren
Patrouillen unterwegs, doch sie würden Andreas nichts tun. Im besten Fall würden
sie ihn als Lakaien erkennen und zum Schloss bringen. Allerdings hätte er dann
keine Gelegenheit mehr, Herrn Quantz seine Nachricht zu überbringen.
    Wie lange würde der
Herr Musikus wohl fortbleiben? Sicher war er nicht auf dem Weg ins
Kammerkonzert, dafür war es noch zu früh. Außerdem ging er

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