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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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Mensch.«
    Es war undenkbar,
aber am liebsten hätte Quantz die Frage zurückgegeben und den König gefragt,
was mit ihm los sei. So unkonzentriert hatte er
seinen Schüler selten erlebt.
    »Sie finden, ich
hätte schlecht gespielt?«, fragte Friedrich.
    Quantz schluckte.
Seine Kehle war wie zugeschnürt, er brachte kein Wort heraus.
    »Geben Sie es zu.
Ich glaube, wir sind beide mit anderen Dingen beschäftigt, die uns der inneren
Ruhe, die man für die Musik nun einmal braucht, berauben. Nur was Sie betrifft –«
    »Majestät, ich –«
    »Lassen Sie mich
ausreden. Was Sie betrifft, so rate ich Ihnen, bei Ihren Leisten zu bleiben und
mir mit Musik zu dienen, wie es Ihre Aufgabe ist. Von Ihnen erwartet niemand,
einen Staat zu führen oder dafür zu sorgen, dass eine verrückte Österreicherin,
die sich Kaiserin nennt, Preußen nicht ans Leder will.«
    »Jawohl, Majestät.«
    »Schätzen Sie sich
glücklich, allein der Tonkunst dienen zu dürfen. Und natürlich mir. Das wäre
alles.«
    Quantz verbeugte
sich und zog sich zurück. Als er rückwärts gehend ins Musikzimmer trat, stieß
er jemanden an, der dort vor der Tür bereits wartete.
    »Herr Musikus, so
sieht man sich wieder.«
    Weyhe. Er war es,
der für den Abbruch des Konzerts gesorgt hatte. Quantz hätte es sich denken
können. Er grüßte höflich und mehr aus Reflex.
    Als er weitergehen
wollte, hielt der Rat ihn am Arm fest. »Herr Musikus, gibt es etwas Neues von
Andreas Freiberger?«
    »Das fragen Sie
mich?«
    »Natürlich frage ich
Sie. Sie kennen ihn ja gut. Hat er sich noch einmal bei Ihnen blicken lassen?«
    »Nein, aber ich war
auch bis heute Mittag in Berlin.«
    »Berlin, so, so. Ach
ja, ich weiß. Das Souper der alten Königin.«
    »So ist es.«
    »Sonst hatten Sie
nichts in Berlin zu tun?«
    »Nein.«
    »Soll reinkommen«,
rief die helle Stimme des Königs. Weyhe gehorchte und Quantz verließ das
Schloss. Der Ehrenhof, wo die Kutschen hätten warten sollen, war leer.
    »Schon weggefahren«,
sagte einer der Lakaien. »Sie meinten, sie wüssten nicht, wie lange Sie bei
Seiner Majestät bleiben.«
    Quantz kehrte zu Fuß
in die Stadt zurück. Als er endlich zu Hause war, empfing ihn Sophie. Er
verzichtete auf den gewohnten Imbiss und zog sich gleich in seine Stube zurück.
    Nun war es klar und
nicht mehr hinter ironischen Tändeleien verborgen: Seine Karriere, sein Posten,
seine Existenz am Hof – alles hing an einem seidenen Faden, der jeden Moment zu
reißen drohte. Der König war nervös und unzufrieden, die Musiker mit einem Komplott
beschäftigt. Da gärte etwas …
    Jahrelang hatte er
Konzert um Konzert, Sonate um Sonate geschrieben. Die Ideen waren ihm immer nur
so zugeflogen. Schon in seiner Jugend. Damals hatte ihm das gründliche Studium
der Tonsetzkunst gefehlt, aber er hatte so viele Einfälle gehabt, dass er darin
baden konnte. Doch dann – viel zu schnell, wie ihm schien – war der Strom
versiegt. Und nun half ihm auch das ganze Handwerk nichts, weil die Ideen
ausblieben. Alles, was er sich in den Jahren mühsam angeeignet hatte, schien
nur noch eine leere Hülle zu sein, ein Schema, das er vielleicht mit etwas
Trickserei ausfüllen konnte, das aber weder ihn noch den König
zufriedenstellte.
    Alles, was er sich
ausdenken konnte, wirkte kümmerlich. Vor allem, wenn er an die wunderbaren
Klänge dachte, die er in Berlin hinter den geschlossenen Türen vernommen hatte.
    Der Geist des alten
Johann Sebastian Bach musste da im Spiel sein – und Bach war ein gigantischer
Geist, mit dem es Quantz nicht aufnehmen konnte.
    Quantz selbst hatte
die strenge Kunst des Kontrapunkts, die mathematischen Verzahnungen der
einzelnen musikalischen Stimmen gern spöttisch als »Augenmusik« abgetan. Sie
sah auf dem Papier herrlich aus, klang auch schön, und es war nötig, sie zu
erlernen, um reiche Harmonien und Stimmenvielfalt erschaffen zu können. Doch
jenseits aller Mathematik ging es bei der Musik doch nicht nur um die
harmonischen Proportionen, um Satzregeln und Harmonielehre – es ging doch um
Gefühl, um Ausdruck …
    Quantz stand an seinem
Stehpult, vor sich ein leeres Blatt Notenpapier. Nein, er betrog sich selbst.
Diese Komponisten um Bach, sein Sohn Carl Philipp Emanuel und wer alles noch
dazugehörte – ihnen gelang es, Mathematik mit Schönheit zu verbinden. Quantz’
Konzerte waren nett gebaute, kleine Parkanlagen. Doch die Musik, die Bach und
sein Sohn zu schreiben imstande waren, ähnelte eher einer ganzen Welt mit
vielen Städten

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