Schatten über Sanssouci
Quantz wusste selbst
nicht, welcher Teufel ihn ritt. Aber vielleicht hatte der Fuhrmann in seiner
einfachen Art eine Idee, was nun zu tun war.
»Nun, da gibt es
viele Möglichkeiten …«
»Welche zum
Beispiel?« Quantz leuchtete Brede in dessen grobes Gesicht.
Der Kutscher zog die
Stirn in Falten. »Der Friedhof ist vielleicht ein seltsamer Ort dafür aber …«
»Wofür meint Er?«
Brede holte tief
Luft, als müsse er sich anstrengen, das Wort, das er im Sinn hatte,
hervorzubringen. »Die Liebe«, sagte er schließlich. »Ein … Sie wissen
schon …«
»Er meint ein
Rendezvous?«
»Ja. Genau.«
»Gut. Setz Er sich
auf den Bock und warte Er. Ich werde schauen, ob es zum Rendezvous kommt …«
Der Fuhrmann grinste
und stieg auf. Für ihn war die Welt offenbar wieder in Ordnung.
Man hatte ihn zum
Narren gehalten. Das war die einzige Erklärung. Warum soll Andreas sich in der
Dunkelheit verbergen, noch dazu an einer Friedhofsmauer?
Quantz versuchte,
sich an die Worte des Schattens zu erinnern, aber jetzt kam ihm das Erlebnis
vollends wie ein Traum vor.
Und doch stand er
hier. Eine unbekannte Macht hatte dafür gesorgt, dass Brede gekommen war. Das
Ganze schien Teil eines Plans zu sein, der sich erfüllen musste.
Quantz ging ein
Stück an der Mauer entlang. Wenn er der Straße folgte, gelangte er auf das
Bornstedter Feld – ein weites Areal, auf dem der König seine Soldaten die
offene Feldschlacht üben ließ. Die Bauern hatten das Gebiet für das Militär
frei zu halten. Nur abseits gab es ein paar Scheunen, wo Heu und Stroh
lagerten.
Wo war nur Andreas?
Verbarg er sich in der Dunkelheit? Oder war er verschmolzen mit den seltsamen
Schatten, die Quantz umgaben?
Er war an die
zweihundert Schritte weitergegangen. Laue Mailuft umfing ihn, hin und wieder
streifte ihn ein Windhauch. Neben der Straße lag der Bornstedter See. Von dort
drang ein krächzendes Quaken herüber – das Konzert der Frösche.
Nur ein kleines
Stück noch, dann würde er sich ein letztes Mal umsehen. Und wenn er dann
niemanden entdeckte, würde er zur Kutsche zurückkehren. Es war sinnlos, den
Rest der Nacht hier oben zu verbringen.
Zudem spürte Quantz,
wie müde er war. Er hatte Schlaf dringend nötig. Und überhaupt hatte er anderes
zu tun. Er musste komponieren und die neue Flöte für den König fertig machen.
Da war es ihm mit
einem Mal, als habe weit hinten, in Richtung des Bornstedter Feldes, ein Licht
aufgeleuchtet.
Quantz starrte in
die Dunkelheit. Kein Zweifel. Da brannte eine kleine Lampe oder eine Fackel.
Wer auch immer sie in der Hand hielt, deckte sie in regelmäßigen Abständen ab,
sodass eine Art Signal entstand. Manchmal gaben Soldaten oder Seeleute auf
diese Weise Zeichen.
Galt das ihm?
Wem sonst?
Er zögerte, seinen
Weg fortzusetzen. Vielleicht war es besser, Brede mitzunehmen. Er war noch gar
nicht darauf gekommen, dass dies alles auch Gefahr bedeuten konnte.
Doch nein. Warum
sollte dieses geheimnisvolle Treffen denn gefährlich sein? Wenn jemand ihn in
eine Falle locken wollte, gab es einfachere Möglichkeiten.
Das Lichtsignal war
immer noch zu sehen, und Quantz entschloss sich, weiterzumarschieren. Er wollte
endlich wissen, was hinter der ganzen Sache steckte.
Die Fackel wurde
schnell größer. Sie steckte im Boden, vielleicht zwei Dutzend Schritte von
einer Scheune entfernt, mitten auf einem von tiefen Fahrspuren zerfurchten
Vorplatz.
»Ist da jemand?«,
rief Quantz.
Nur der nächtliche
Wind wisperte. In der Ferne war immer noch das Froschkonzert zu hören.
Hier musste jemand
sein. Eine Fackel entzündete sich nicht von selbst, und Quantz hatte ja beim
Näherkommen immer wieder bemerkt, dass die Flamme von einem Schatten verdeckt
wurde.
»Andreas, bist du
hier?« Er verharrte und lauschte. Vergeblich.
Das Tor der Scheune,
eine große narbige Fläche, war geschlossen. Aus dem Inneren des Gebäudes kamen
tappende Schritte. Dazu ein Schleifen und das Knistern von Heu.
»Andreas? Du
brauchst keine Angst zu haben. Ich bin es, Herr Quantz.« Ein Gefühl der
Beklemmung erfasste ihn, als er auf das Tor zuschritt. Ein grober Holzriegel
hielt es verschlossen. Quantz schob ihn zur Seite. Mit einem Seufzen schwang
der hölzerne Flügel auf. Nun gähnte Quantz die Öffnung wie eine gewaltige Höhle
entgegen. Er hob die Laterne und leuchtete auf helle Haufen von Heu. Ein
staubiger Duft erfüllte den riesigen Raum.
Schritt für Schritt
ging Quantz weiter. Der Schein seiner Lampe traf auf eine Leiter.
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