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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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Andreas eine Art Vertrauensperson. Warum sonst hatte er sich so oft bei
ihm herumgetrieben? Die Noten, die Andreas schrieb, hatten mit Musik nichts zu
tun – sie zeigten nur, dass der Junge auf seine eigenartige, naive Weise auf
ihn zugehen wollte. Wie ein Hund, der seinem Herrn etwas bringt, ohne zu ahnen,
was es ist. Und der nur weiß, dass es für den Herrn wichtig ist.
    Aber Andreas hatte
auswendig das Thema für den alten Bach aufgeschrieben! Er musste eine Begabung
haben. Wie die eines Mädchens aus Rom, von dem Quantz auf seinen Reisen gehört
hatte.
    Die Kutsche
erreichte die Straße vor dem Ehrenhof. Quantz riskierte einen Blick zum Schloss
hinauf. Die Rampe war so steil, der Vorplatz so hoch, dass kaum etwas von der
Sommerresidenz des Königs zu sehen war. Nur ein heller Schein loderte in den
Nachthimmel. Das mussten die Fackeln der Wache sein. Dann hatten sie den
Ehrenhof hinter sich, und es wurde wieder dunkel. Der Wald, hinter dem Bornstedt
lag, umgab sie.
    Und in dieser
Finsternis wurde in Quantz die Erinnerung an das Mädchen lebendig, das in Rom
von sich reden gemacht hatte.
    Dem Kind war ein
Unfall zugestoßen. Quantz wusste nicht mehr genau, was geschehen war. Ein Sturz
– aus dem Fenster eines Hauses oder von einer Brücke. Das Kind hatte mehrere
Tage bewusstlos dagelegen, und die Eltern hatten schon die Hoffnung aufgegeben,
nachdem der Vater – ein Kaufmann – jeden erreichbaren Arzt konsultiert hatte.
Ein Priester hatte sich am Lager der Kleinen eingefunden, hatte ununterbrochen
gebetet, die Nachbarn, die Familie – alle nahmen Anteil an dem Unglück. Und
dann schlug das Mädchen plötzlich die Augen auf, wurde gesund, doch das war
noch nicht alles. Nach der wundersamen Heilung konnte das Kind alle Rechnungen,
alle Kontenbücher, alle Zahlen, die im Kontor seines Vaters eine Rolle
spielten, im Kopf behalten. Es war in der Lage, sich die Lagerbestände zu
merken und atemberaubend schnell zu rechnen.
    Vor dem Unfall hatte
niemand dieses Talent bemerkt. Der Vater versuchte vergeblich, es geheim zu
halten, denn es war ihm unheimlich. Das Mädchen ging nicht spielerisch mit den
Zahlen um, sondern es legte eine Verbissenheit an den Tag, die fast krankhaft
war. Es schrieb lange Kolonnen von Ziffern und Berechnungen in Bücher. Es
beschäftigte sich mit komplizierten Berechnungen, die niemand verstand.
Natürlich war so etwas nicht zu verbergen.
    Die Menschen sahen
in dem hereinbrechenden Talent ein Wunder, das Gott an dem Kind vollbracht
hatte. Bald war das Haus des Kaufmanns ein Wallfahrtsort. Alle wollten die
Gottbegnadete sehen. Manche erhofften sich von ihr tiefere Erkenntnisse. Bald
waren Gerüchte im Umlauf, das gerade einmal zwölf Jahre alte Mädchen könne die
Zukunft voraussagen.
    Die Aufregung nahm
ein Ende, als die Kaufmannstochter eines Morgens tot im Bett lag. Die Ärzte
konstatierten als Todesursache nervliche Überreizung.
    Die medizinisch gelehrten
Herren griffen oft zu solchen Erklärungen, wenn sie nicht weiterkamen. Aber das
eigentliche Rätsel, die seltsame, plötzlich aufgebrochene Begabung, war das
Interessante an der Geschichte.
    War Andreas auch so
ein Mensch wie dieses Mädchen?
    Die Kutsche wurde
merklich langsamer und blieb schließlich stehen. Quantz hörte, wie Brede vom
Bock stieg, dann erschien der Fuhrmann mit einer Lampe neben der Tür und
öffnete sie.
    »Wo sind wir hier?«,
fragte Quantz.
    »Wo ich Euch
hinbringen sollte. Hinter den Bornstedter Friedhof.«
    Hierher sollte er
gebracht werden? Warum nicht zu einem der Häuser? Er wollte die Frage nicht
aussprechen, immerhin glaubte der brave Brede ja immer noch, Quantz habe ihm
den Auftrag zu diesem seltsamen nächtlichen Ausflug erteilt. Es war schon
erstaunlich genug, wie selbstverständlich der Kutscher das alles hinnahm. In
seiner einfachen Welt waren die Entscheidungen der hohen Herren – und dazu
gehörte Quantz in Bredes Augen – oft kaum zu verstehen. So hatte er sich wie
alle dienstbaren Geister abgewöhnt, darin nach einem Sinn zu suchen.
    Der Fuhrmann hatte
in kluger Voraussicht zwei Lampen in der Hand. Eine davon gab er Quantz. Der
Schein reichte abseits des Weges über einen Streifen Gras bis zu einer
niedrigen Mauer, hinter der die Gräber lagen.
    »Wollt Ihr
weiterfahren?«, fragte Brede. »Oder soll ich warten?«
    Quantz hatte keine
Ahnung. »Was glaubt Er, was ich hier vorhabe?«, fragte er.
    »Ich verstehe nicht …«
    »Warum glaubt Er,
mache ich mitten in der Nacht eine solche Ausfahrt?«

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