Schatten über Sanssouci
durch einen Angriff seines flüchtigen
Kollegen. Und nun muss ich die Frage erneut stellen: Kann ein Mensch, der in
solche Dinge verwickelt ist, in direkter Umgebung einem König dienen und seine
Privatgemächer betreten? Darf er im direkten Umkreis Seiner Majestät wirken?«
Damit drehte sich
Weyhe um und ging.
Gegen Mittag war
auch das Militär endlich aus dem Haus abgezogen. Quantz hatte Sophie
beauftragt, ein Bad vorzubereiten, und während sie die Kessel einheizte, räumte
er weiter auf. Er sortierte seine Noten, in denen nicht nur die Grenadiere,
sondern auch Weyhes Soldaten mit ihren groben Fingern herumgewühlt hatten –
freilich ohne das geringste Verständnis für das, was sich hinter den
Notenzeichen verbarg. Viele Grenadiere, die im Dienst des Königs standen, waren
noch nicht einmal des Lesens und Schreibens mächtig.
Quantz richtete
seine Werkstatt wieder her. Die angefangene Flöte, die durch die
Gewalttätigkeit der Soldaten einen Riss bekommen hatte, warf er auf den Abfall.
Schließlich lagen
die Kanteln wieder akkurat bereit, die Räumer exakt parallel auf dem
Arbeitstisch. Der Anblick der wohlsortierten Geräte brachte auch ein wenig
Ordnung in Quantz’ Kopf – und er versetzte ihm gleichzeitig einen Stich.
Welchen Sinn hatte das denn alles noch? Der König legte keinen Wert mehr auf
seinen Dienst.
Er ging in die
Soldatenstube. Das Blut auf dem Boden war zu einer schwarzen Fläche getrocknet.
Die Habseligkeiten der beiden Grenadiere lagen in den Ecken herum, die Betten
waren zerwühlt.
Sophie rief von
oben, dass das Bad fertig sei. Quantz ging hinauf. Die Sitzwanne stand in der
Küche gleich neben dem heißen Ofen, auf dem noch ein Kessel mit Wasser dampfte.
Endlich war der
Moment gekommen, in dem er seine verschmutzten Kleider ablegen konnte. Das
heiße Wasser war eine Wohltat und versetzte ihn in eine bleierne Müdigkeit, die
in wüste Träume überging, in denen Flammen flackerten und Kanonenschüsse
fielen.
Quantz schreckte
hoch, als das Glockenspiel der Garnisonkirche losklimperte. Schnelle Schritte
kündigten Sophie an. Er hatte anderthalb Stunden in der Wanne verbracht. Das
Wasser war kalt geworden.
»Der verletzte
Grenadier ist tot«, sagte sie, als sie in die Küche kam. »Die ganze Stadt
spricht über nichts anderes. Und gerade als ich die Haustür erreichte, kam ein
Bote und hat das abgegeben.« Sie zeigte Quantz einen Brief. Das Siegel war das
des Königs. »Ich lege ihn ins Musikzimmer.«
Am liebsten wäre er
ihr sofort gefolgt, um den Brief zu lesen. Doch er ging zuerst in die
Schlafstube und kleidete sich an. Nicht die Angst ließ ihn zögern. Es war die
Vorstellung, dass er beim Lesen des Schreibens gewissermaßen symbolisch Seiner
Majestät gegenüberstand. Und bei einer solchen Gelegenheit hatte er korrekt
gekleidet zu sein. Was in dem Brief stand, ließ sich nicht mehr ändern. Wenn
der König ihn entließ, wenn er ihn in Haft schickte oder sonst etwas mit ihm
vorhatte, dann war das längst entschieden. Trotzdem fühlte Quantz sich in
frischem Unterzeug, in weißen Strümpfen und tadellosem Rock besser.
Sein Herz begann zu
rasen, als er das Siegel brach und das dicke Papier auseinanderfaltete.
Wie es bei
dienstlichen Mitteilungen seine Art war, hatte sich Seine Majestät kurzgefasst.
Er hat mich sehr enttäuscht, Quantz. Ich bin zu dem Ergebnis
gekommen, dass mir die Musique mit Ihm verleidet ist. Ich will Ihn nicht sehen.
Noch glaube ich an das Gute in Ihm, doch ich habe mich in meinem Leben in einem
solchen Glauben schon oft eines Besseren belehren lassen müssen.
Friedrich
Quantz legte das
Blatt weg, trat an sein Schreibpult, wo ein frischer Bogen Notenpapier auf die
neue Komposition wartete. Die akkuraten Linien verschwammen vor seinen Augen.
Eine unsichtbare eiserne Faust schien seine Brust zu umschlingen. Er versuchte
sich dagegen zu wehren, doch er musste alle Kräfte aus dem Innersten
zusammenraffen, damit es ihm gelang, wieder tief Luft zu holen. Die Anstrengung
war so gewaltig, dass er taumelte und auf die Knie fiel. Der Schlag auf die
Dielen musste Sophie alarmiert haben, denn plötzlich stand sie in der Tür.
»Was ist
geschehen?«, fragte sie.
»Zu viel«, sagte
Quantz und ließ sich auf einen der Stühle sinken. »Es ist zu viel geschehen.
Etwas umkreist mich, und ich weiß nicht, was es ist. Und es wird mich
besiegen.« Er seufzte. »Kannst du mir nicht helfen?«
Sie blieb stocksteif
stehen. »Wie könnte ich das?«
Ja, wie könnte
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