Schatten über Sanssouci
über alle Berge
ist.«
»Das glauben Sie
doch selbst nicht.« Quantz drosch in einem plötzlichen Wutanfall auf Weyhe ein,
kam frei und donnerte die Stufen hinauf. Sophie stand stocksteif in der
Studierstube. Offenbar hatte man ihr nichts getan, doch der Offizier war gerade
dabei, Quantz’ Papiere zu durchforsten – Bücher, Manuskripte, alles.
»Glauben Sie, der
Soldat hat sich zwischen den Blättern versteckt?«, rief Quantz.
Ein dumpfer Knall
erschütterte die Luft. Es war ein ferner Kanonenschuss, das Signal, das die
Desertion eines Soldaten meldete. Es schallte weit über Potsdam hinaus über das
Land und die Dörfer, um die Bauern zu warnen. Der Flüchtige würde sich nicht
verstecken können. Es war bei schwerer Strafe verboten, ihm zu helfen.
Der Offizier legte
die Noten hin. »Sie sind der Hofmusikus«, sagte er. »Ich habe von Ihnen
gehört.«
»Dann wissen Sie,
dass ich mit militärischen Dingen nichts zu tun habe.«
Unten rumpelte
etwas. Offenbar durchsuchten die Soldaten gerade die Werkstatt. Quantz rannte
wieder hinunter und stürmte in das Zimmer. Einer der Grenadiere hatte ein paar
der Kanteln heruntergeworfen.
»Hier ist niemand«,
rief Quantz. »Können Sie das nicht erkennen? Suchen Sie woanders.«
Die Grenadiere
beachteten ihn nicht. Sie klopften mit ihren Gewehrkolben die Dielen ab,
tasteten sich die Wände entlang und schoben alles beiseite, was sie störte –
egal, ob es begonnene Flöten oder Werkzeuge waren. Einiges ging beim Fallen zu
Bruch, anderes unter den Schritten der Stiefel.
Als sie die
Werkstatt verließen und sich dem Keller zuwandten, kam Weyhe herein. »Hier
befindet sich also Ihr kleines Reich, Herr Musikus. Wo die Flöten für den König
entstehen. Interessant.«
Quantz hatte damit
begonnen, alles wieder aufzuheben und zu sortieren. Weyhe sah ihm ruhig zu.
»Ihnen ist klar, was dieser Vorfall bedeutet?«
Einer der
Flötenrohlinge war durch einen drei Finger breiten Riss zerstört. Quantz
versetzte der Anblick ein Gefühl, als hätte ihm jemand ins Herz geschnitten.
»Ich weiß nur, dass ich hier meinen Dienst für Seine Majestät versehe. Ich
arbeite auf seinen Befehl. Auch wenn Sie selbst keine Freude an der Musik
haben, so müssen Sie das respektieren.«
»Wer sagt, dass ich
keine Freude an der Musik habe? Respektieren Sie wiederum, dass ich dem König
Rechenschaft über die Dinge geben muss, die seit einiger Zeit in seiner
Umgebung geschehen. Und an denen Sie, Herr Musikus, wie durch einen wundersamen
Zufall stets beteiligt sind.«
»Ich habe Ihnen
alles berichtet, was ich weiß. Es kommt in Potsdam immer wieder zu Desertionen.
Damit habe ich nichts zu tun. Ich bin meiner Bürgerpflicht nachgekommen und
habe Soldaten aufgenommen. Ich pflege keinen persönlichen Umgang mit ihnen. Was
übrigens auch an den Dienstzeiten der Männer liegt. Wie Sie wissen, habe ich
meine Dienste beim König eher am Abend zu leisten.«
»Ich würde gern mit
Ihnen weiter über Ihre Pflichten und Ihre Dienste, über Musik und Flöten
plaudern. Aber ich fürchte, das ist alles schon Vergangenheit.«
»Vergangenheit?«
»Nun, Herr Musikus,
Seine Majestät hat Ihnen diese Frage sicher auch schon gestellt. Der König
liebt rhetorische Fragen, wie er sich überhaupt gern mit seinen literarischen
Fähigkeiten schmückt, die ja seinen Fähigkeiten als Herrscher oder als Feldherr
in nichts nachstehen. Sie wissen schon – eine rhetorische Frage ist eine Frage,
auf die man keine Antwort erwartet. Doch in diesem Fall erwartete Seine
Majestät doch eine, und zwar – Sie können es sich denken – von mir …«
»Weyhe«, schrie
Quantz. »Wovon reden Sie?« Der Rat fing schon wieder an zu philosophieren. Am
liebsten hätte Quantz ihn niedergeschlagen.
»Glauben Sie
wirklich, dass Seine Majestät Sie weiter auf dem vertrauensvollen Posten halten
kann, den Sie so lange innehatten? Sehen Sie, das ist die Frage. Und wenn ich
sie beantworten will, so sehe ich einen entlaufenen Lakaien, der in Ihrem
Beisein, vielleicht sogar durch Ihre Schuld ums Leben kam. Vielleicht ist
Freiberger ja gestorben, damit er nicht etwas ausplaudert? Ach ja, und ich
sehe, dass dieser Lakai sehr vertraut mit Ihnen war. Dass er Noten von Ihnen
und vom König gehortet hatte. Welchen Reim soll ich mir darauf machen? Aber das
ist noch nicht alles: Just in derselben Nacht, in der dieser Lakai umkam,
desertiert ein Soldat, der bei Ihnen einquartiert ist. Sein Kamerad kommt in
derselben Nacht ums Leben – ich mutmaße,
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