Schatten über Sanssouci
allein.
Quantz dachte
darüber nach, was sie gesagt hatte. Schließlich stellte er sich an sein Pult
und schrieb ein paar Zeilen. Er betätigte die Schelle. Sophie erschien sofort
wieder, und Quantz übergab ihr den Brief.
»Lass das bitte
gleich wegbringen. Der Bote soll auf Antwort warten.«
***
Weyhe schob den
Teller weg. Eine Faser geschmorten Rindfleisches saß in seinen Zähnen fest. Er
steckte den Finger in den Mund und versuchte, mit dem Fingernagel in den
Zwischenraum zu gelangen. Vergeblich. Er griff nach dem bereitstehenden
Bierkrug und nahm einen Schluck.
Seine Berufung nach
Potsdam war ein Glücksfall gewesen, den er noch immer kaum fassen konnte. Sein
Vater, ein Fleischhauer aus Breslau, der den lieben langen Tag über die
schlechten Geschäfte gejammert hatte, bis er es schließlich zum Lieferanten der
preußischen Armee brachte. Ein sicheres Geschäft, das dann aber dazu führte,
dass er auch genügend Ware brauchte, die er verkaufen konnte. Ware aber war im
Krieg knapp gewesen, was wieder zu neuem Gejammer geführt hatte.
Weyhe war es
irgendwann leid geworden, und er hatte dem väterlichen Gewerbe den Rücken
gekehrt. Sollte sein Bruder alles übernehmen. Oder der Mann, den seine jüngere
Schwester eines Tages heiraten würde. Weyhes Welt waren Akten, Paragraphen und
königliche Anweisungen, die Macht der Erlasse, Gesetze, Memoranden und Befehle.
Es klopfte an der
Tür. Weyhe wusste, wer draußen stand. Es waren die beiden Gehilfen, die ihm der
König an die Seite gestellt hatte.
»Reinkommen«, rief
er.
Sie standen, den
Blick gesenkt, die Hüte in den Händen und vollkommen verkrampft wie Bauern vor
dem Grundherrn. Voller Angst, auch nur angesprochen zu werden.
Sollten sie erst
einmal noch eine Weile in diesem Gefühl schmoren. Weyhe deutete auf die Uhr,
die auf seinem Schreibtisch stand. Sie sah fast genauso aus wie die des Königs,
nur etwas kleiner. »Sie sind exakt zweieinhalb Minuten zu spät, meine Herren.
Was haben Sie dazu zu sagen?«
Einer der beiden hob
den Kopf. Das lange Gesicht mit der Gurkennase war umrahmt von fettigem
schwarzem Haar, das notdürftig zu einem Zopf gebunden war. »Es hat noch nicht
eins geschlagen, Herr Rat. Vielleicht geht Ihre Uhr nicht richtig.«
Der andere nickte
nur, ohne aufzusehen. Und tatsächlich: Genau in diesem Moment begann die Musik
der Garnisonkirche.
»Es ist gut«, sagte
Weyhe, ohne im Geringsten erzürnt zu sein. Einfache Grenadiere und andere
subalterne Geister hätten die Schuld auf sich genommen und sich nicht zu
verteidigen gewagt. Solche Leute konnte er aber nicht gebrauchen. »Sie wissen,
warum Sie hier sind?«
Der Mann, der den
Einwand vorgebracht hatte, behielt das Wort. »Wir sollen den Herrn Rat bei
seinen Ermittlungen unterstützen. Auf Befehl des Königs.«
»Haben Sie mit
Seiner Majestät gesprochen?«
»Ja, Herr Rat. Aber
mehr hat uns Seine Majestät nicht gesagt.«
»Sie waren vorher
Diener des Bürgermeisters, ist das richtig?«
Beide nickten.
»Er heißt?«
»Kilian«, sagte der
mit der dicken Nase.
»Und Er?«
Zum ersten Mal ließ
sich der andere hören. Er sah seinem Kumpan sehr ähnlich, schien aber jünger zu
sein. »Kilian«, sagte auch er.
»Ich will nicht
wissen, wie der andere heißt. Ich will Seinen Namen erfahren.« Weyhe hob die
Stimme ein wenig. Sie durften auf keinen Fall den Respekt vor ihm verlieren.
»Herr Rat, wir
heißen beide so«, sagte der Ältere. »Wir sind Brüder. Ich heiße Michael Kilian,
und das ist Johannes.«
»Ich verstehe«,
sagte Weyhe. »Sie sind für mich ab jetzt der alte und der junge Kilian. Kommen
wir gleich zur Sache. Sie waren beim Bürgermeister, Sie haben dort
Ordnungsaufgaben durchgeführt, haben Alltäglichkeiten kontrolliert – zum
Beispiel ob auf dem Markt die Buden richtig stehen oder ob abends die
Fensterläden in den Gassen geschlossen sind. Das, was nun auf Sie wartet, ist
etwas anderes. Sie haben sicher von dem Tod des jungen Lakaien in Bornstedt
gehört? Und von dem desertierten Soldaten?«
Beide nickten.
»Sehr gut. Wir haben
von Seiner Majestät die verantwortungsvolle Aufgabe erhalten, Licht in diese
Angelegenheit zu bringen. Wer hat Freiberger umgebracht? Wer hat das Feuer
gelegt? Wohin ist Sperber, der entflohene Soldat? Wer hat ihm geholfen? Diese
Verbrechen richten sich direkt gegen den König selbst, auch wenn es sich um
eine Persönlichkeit minderen Ranges wie einen Lakaien handelt. Der Mann war
stets um den König herum, hatte Zugang zu vielen
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