Schatten über Sanssouci
Flötenkonzerte mehr will …«
Fredersdorfs Stimme
wurde eindringlich. »Das wird sich auch wieder ändern, Quantz. Und dann müssen
Sie bereit sein.«
»Wofür bereit? Dass
Seine Majestät Gefallen an einem neuen Musikstil gewinnt? Soll ich nun Fugen
statt Konzerte schreiben? Dafür braucht es einen klaren Befehl, Herr
Fredersdorf. Man kann einem Dienstherrn schlecht in den Gedanken lesen und
erahnen, welche Musik er haben will.«
»Was für ein neuer
Musikstil?« Fredersdorf sah ihn von der Seite an. »Bleiben Sie ruhig, Herr
Quantz. Der König ist mit Details beschäftigt, die die Verteidigung Preußens
gegen Österreich betreffen. Er weiß nicht, wo ihm der Kopf steht. Und deshalb
sieht er in jeder Ecke Feinde. Das ist alles. Sicher hat er deshalb weniger
Lust auf die Musik. Aber wenn es so weit ist, müssen Sie wieder welche
liefern.«
»Verteidigung? Das
klingt nach Krieg. Aber wir leben doch im Frieden. Schlesien ist erobert, der
König hat ein neues Schloss bezogen. Ich dachte, er gibt sich nun vor allem den
Künsten hin …«
»Wir mögen Schlesien
gewonnen haben, doch die Besiegten werden diesen Verlust nicht hinnehmen. Die
Feinde Preußens ruhen nicht. Und was hier so aussieht wie ein herrlicher
Frühling und der Aufbruch in eine wunderschöne paradiesische Friedenszeit, hat
auch seine Kehrseite.«
»Welche Kehrseite?«
»Das muss ich Ihnen
doch nicht erklären.«
»Glaubt der König,
dass diese Vorfälle der letzten Tage etwas mit den Feinden Preußens zu tun
haben?«
»Wenn Soldaten
desertieren, hat das immer Auswirkungen auf die Moral der Truppe. Vor allem,
wenn die Flucht gelingt und die Deserteure endgültig verschwunden bleiben. Und
wenn es in der Residenzstadt geschieht und die Entflohenen obendrein zur
königlichen Leibgarde gehören.«
» Die Entflohenen? Gab es denn mehrere, die aus der Leibgarde desertiert sind?«
Quantz wusste, dass immer wieder Soldaten flohen. Aber die Männer der Leibgarde
galten als besonders königstreu.
»Das geht Sie nichts
an. Schweigen Sie und versehen Sie Ihren Dienst. Das ist alles, was ich Ihnen
raten kann.« Fredersdorf schlug zweimal an das Holz der Kutsche. Die Pferde
hielten.
Quantz zog den
kleinen Vorhang zurück. Durch das Seitenfenster war die Nauensche Vorstadt zu
sehen. Die schnurgerade Allee verlor sich in der Ferne.
»Steigen Sie nun
aus. Unser Gespräch ist beendet.«
Quantz wollte
aufbegehren, wollte mehr erfahren, aber er wusste, dass es keinen Zweck hatte,
Fredersdorf zu bedrängen. Er murmelte einen kurzen Abschiedsgruß und verließ
die Kabine. Die Kutsche rollte davon.
Als er das
Nauensche Tor passierte, trafen Quantz abschätzige, ja feindselige Blicke. Als
er nahe an einer Gruppe Grenadiere vorbeikam, spuckte einer unverhohlen vor ihm
aus. Gemurmel erhob sich. Die Männer wandten sich von ihm ab. Quantz spürte,
wie sich sein Gesicht erhitzte.
Wegen der Desertion
mussten die Grenadiere nun schärferen Dienst schieben. Ausgangszeiten wurden
gekürzt. Es wurde härter exerziert. Die Leibgarde, der Trakow entstammte, hatte
an Ansehen eingebüßt. Und die Soldaten gaben Quantz die Schuld.
Er spazierte in die
Stadt hinein, vorbei an den roten holländischen Backsteinhäusern, an der
Plantage vorbei, die nun im hellen Sonnenlicht nicht im Geringsten unheimlich
wirkte, sondern sehr harmlos, fast wie einer der arkadischen Haine, von denen
Quantz hin und wieder träumte.
Es gab also eine
Verbindung zwischen Andreas’ Tod und der großen Politik. Quantz glaubte, dies
Fredersdorfs Andeutungen entnehmen zu können. Und eine Verbindung zu La Mettrie
gab es auch. Dass der Franzose auf den Rat seines Landsmannes Pierre Louis Moreau
de Maupertuis, dem Präsidenten der Königlichen Akademie der Wissenschaften,
nach Berlin gekommen war, wusste Quantz bereits. Auf ihn hatte Fredersdorf wohl
angespielt, als er von den einflussreichen Gelehrten gesprochen hatte.
De Maupertius war
ebenfalls von sehr eigenartigen Gedanken beseelt. Es hieß, er widerlege in
einer seiner Schriften die Tatsache, dass Gott die Lebewesen geschaffen habe.
Stattdessen hätten sich Tiere, Pflanzen und sogar der Mensch nach und nach aus
verschiedenen Lebewesen entwickelt, die dann jedoch wieder vom Angesicht der
Erde verschwunden seien.
Eine unglaubliche
Vorstellung. Das würde ja bedeuten, dass Gott die Welt sich selbst überließe.
Dass es keine Schöpfung gab, dass die Menschen nicht – wie es in der Bibel
stand – Gott gegenüber durch den alten und den neuen Bund
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