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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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geraten, und dabei ist er ums Leben gekommen.«
    Der Wirt machte
große Augen. »Davon habe ich nichts gehört. Seid Ihr sicher, dass das stimmt?«
    »Schulze! Wir reden
von meiner Person. Ja, ich bin mir sicher, weil ich es selbst erlebt habe. Ein
Gerücht hat die Angewohnheit, sich mit jedem Mund, durch den es geht, zu
verändern. Könnt Ihr mir folgen?«
    »Nein. Jeder sagt
doch nur das weiter, was er gehört hat. Und der Erste, der es weiß, der weiß doch
die Wahrheit.«
    »Aber der Erste in
der Kette bin doch ich. Und mich hättet Ihr fragen sollen.«
    Der Wirt kratzte
sich am Kopf. »Da ist was dran … wenn Ihr es sagt.«
    »Kommen wir auf
Herrn La Mettrie zurück … Ist er da? Ich muss ihn sprechen.«
    »Habt Ihr beim König
etwas erreicht? Ich dachte, wo Sie nun bei Seiner Majestät nicht mehr so gut
angesehen sind, hat das alles keinen Zweck mehr.«
    »Ich werde selbst
nachsehen, ob er da ist.«
    »Von mir aus.«
    Der Wirt kehrte in
die Küche zurück. Quantz stieg die Treppe hinauf. Als er an La Mettries Zimmer
klopfte, kam von drinnen ein unartikulierter Laut – eine Art Quieken. Quantz
konnte sich keinen Reim darauf machen. Er klopfte erneut, dann trat er einfach ein.
    Die Stube war noch
im selben unordentlichen Zustand – mit dem einen Unterschied, dass zwischen all
den Papieren, inmitten all der aufgehäuften Wäschestücke, Perücken und Schuhe
La Mettrie mit irrem Blick auf dem Fußboden lag und schrieb.
    Er hatte sich auf
den Bauch gelegt. Der nackte Dielenboden diente ihm als Schreibunterlage, und
Quantz beobachtete erstaunt, wie der Franzose manisch Wort um Wort auf den
Bogen vor ihm kritzelte. Mit der einen Hand hielt er das Papier fest, damit es
nicht rutschte, mit der anderen ließ er den Text in einer winzigen Schrift
dahinfließen, wobei er immer wieder die Feder in ein Tintenfass tauchte, das
neben ihm stand.
    »Schulze, ich habe
Ihm gesagt, ich möchte keinen Wein mehr. Sein brandenburgisches Gesöff dient
nicht meiner Inspiration, es hindert sie nur. Verschwinde Er jetzt.« Während er
redete, unterbrach La Mettrie seine Schreibbewegungen keine Sekunde.
    »Monsieur, ich bin
es – Quantz.«
    Der Philosoph
streckte die Zunge aus dem Mundwinkel, als würde er seine Anstrengungen
verstärken, und tatsächlich erschien es Quantz, als würde die Geschwindigkeit,
mit der die Wörter und Zeilen aus der Feder glitten, noch zunehmen.
    »Hören Sie mich, La
Mettrie? Ich möchte mit Ihnen sprechen.«
    »Un
moment, s’il vous plaît.« Er füllte weiter die Seite, während Quantz vorsichtig, ohne
auf eines der Blätter zu treten, ins Zimmer kam und die Tür hinter sich
schloss.
    »Uff.« Der Franzose
warf die Feder in das Tintenfass, schob alles beiseite und rollte sich auf den
Rücken. Dabei wirkte er so erschöpft, als habe er gerade den legendären Lauf
von Marathon nach Athen hinter sich gebracht. Er atmete schwer, seine Wangen
waren gerötet.
    »Monsieur, was hat
das zu bedeuten?«, rief Quantz. »Geht es Ihnen nicht gut?«
    La Mettrie streckte
einen Arm aus, schob Papiere beiseite und erfasste ein sehr kleines Glas, das
unter den Bögen verborgen gewesen war. Eine wässrige rotbraune Flüssigkeit
befand sich darin. Er nahm einen Schluck, legte sein glatzköpfiges, kugelrundes
Haupt in den Nacken und hob das Rückgrat ein wenig. Mit offenem Mund sah er zu
Quantz hinauf.
    »Man glaubt, die
Welt stehe Kopf«, sagte er. »Dabei bin ich es, der auf dem Rücken liegt.«
    Er war betrunken.
Und das so stark, dass er nicht bei Sinnen war.
    »Keine Sorge, mir
geht es superb«, rief der Franzose. Ein Ruck ging durch seinen Körper, und
plötzlich stand er auf den Beinen. La Mettrie war deutlich kleiner als Quantz,
weshalb er zu ihm aufschauen musste. Er trug nur Unterzeug, rupfte die
spärliche Kleidung zurecht, taumelte ein paar Schritte, trat auf herumliegende
Papiere, schaffte es aber gerade noch, einige davon zur Seite zu wischen, bevor
er sich auf dem Bett niederließ.
    »Geht Ihnen das auch
so, Maître de Musique? Wenn Sie etwas Wunderbares geschrieben oder in Ihrem
Fall komponiert haben?« Er stöhnte auf. Der Laut hatte etwas Tierisches.
    »Was meinen Sie?«,
fragte Quantz, der das Treiben mit einer Mischung aus Abscheu und Neugierde
verfolgte.
    »Diese wunderbare
Erschöpfung. Sie ähnelt dem Gefühl, das einen nach dem Beischlaf überkommt. Man
hat etwas Wertvolles aus sich herausgelassen, man fühlt sich müde, ein bisschen
traurig, aber man weiß, man hat Großes erlebt. In diesem Fall

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