Schatten über Sanssouci
allerdings war es
eher eine Art Coitus interruptus, da Sie einfach in meine Kammer gedrungen
sind, während ich –«
»Monsieur, wovon
reden Sie?«, fragte Quantz scharf.
Der Franzose kniff
die Augen zusammen und fixierte ihn. »Es soll Menschen geben, die so etwas
nicht oft erleben. Ich hoffe für Sie, lieber Compositeur
royal , dass Sie keiner von ihnen sind. Aber demzufolge, was man in
Potsdam über Sie erzählt, scheint das gerade kaum der Fall zu sein.« Er lachte.
Quantz versuchte,
sich in diesen verworrenen Verneinungen zurechtzufinden. Dann ahnte er, was
gemeint war, und spürte, wie ihn ein plötzliches Hitzegefühl überwältigte.
Wahrscheinlich wurde er sogar rot. »Was erzählt man sich in Potsdam?«
»Nichts, wofür man
sich schämen müsste, Monsieur. Setzen Sie sich. Ich freue mich ja, dass wir uns
endlich einmal näher kennenlernen. Ich habe Sie schließlich selbst eingeladen.
Wie kann ich Ihnen dann vorwerfen, dass Sie der Einladung folgen?«
La Mettrie erhob
sich von seinem Bett, nahm einen Stapel Blätter von einem Schemel vor dem
Waschtisch, der wahrscheinlich in der letzten Zeit auch mehr Papier als Wasser
gesehen hatte.
»Mehr kann ich Ihnen
leider nicht anbieten. Demnächst wird mir Seine Majestät hoffentlich eine
Unterkunft im Schloss überlassen, aber bis dahin …« Er hob die Hände. »Das
heißt, so direkt beim König zu wohnen, hat auch seine Nachteile …«
Quantz setzte sich
auf den Schemel. La Mettrie sah sich suchend im Raum um, erspähte auf dem Boden
das kleine Glas, nahm es an sich und setzte sich wieder auf das Bett. Er
blickte die rötliche Flüssigkeit an, als wolle er sie auf eine seltsame Art
beschwören, dann nahm er wieder einen Schluck.
»Die Geschichten,
die man über Sie erzählt, sind vielfältig. Da ist die Liaison mit Ihrer Magd.
Und nun kommen allerlei Geschichten hinzu, die mit einem Lakaien und einem
toten Soldaten zu tun haben. Was die Sache mit Ihrer Magd betrifft, da kann ich
Sie verstehen – auch ich würde ihr vor Ihrer Frau den Vorzug geben. Ich hatte
das zweifelhafte Vergnügen, Ihre Gattin in Berlin kennenzulernen.«
Quantz war kurz
davor, aufzuspringen und hinauszugehen. Solche Reden über Anna konnte er sich
eigentlich nicht bieten lassen.
»Monsieur, was Sie
für Ihre Magd empfinden und für Ihre Frau nicht empfinden, ist doch menschlich.
Es gibt so viel Menschliches auf der Welt, wie es Menschen gibt. Schauen Sie
sich unseren König an. Für den sind Weiber gar keine Menschen, dafür die
Männer. Jedem das Seine.« Er hob das Glas, prostete dem Gast zu und leerte es.
»Was fällt Ihnen
ein, unseren König zu beleidigen?«
»Ich beleidige
nicht, Maître de Musique. Ich spreche nur aus, was wahr ist.«
»Und was trinken Sie
da für ein Zeug?« Quantz stand auf und schnupperte an dem Glas, das La Mettrie
auf einem Bücherstapel abgestellt hatte. Es roch exotisch, wie ein seltsames
Gewürz. Von Opiumtinktur, die aus dem Extrakt des Schlafmohns gewonnen wurde,
war besonders in Künstlerkreisen viel die Rede. Man hörte wahre Lobpreisungen,
welche Wirkungen die verdünnte Mohnessenz besaß. Angeblich regte die Substanz
die Phantasie an, sorgte aber nicht für eine Umnebelung wie beim übermäßigen
Genuss von Alkohol. Man blieb geistig vollkommen klar, hieß es. Und diese
Klarheit steigere sich ins Unermessliche. Wahrscheinlich war es das Geheimnis
von La Mettries riesigem schriftstellerischem Ausstoß. Quantz hatte sich von
Opium immer ferngehalten.
»Sagen Sie nur, Sie
kennen diese herrliche Essenz nicht, die Menschen wie uns die Kraft verleiht,
ganz neue Welten zu schaffen – seien es Welten der Gedanken wie bei mir oder
Welten der Klänge wie bei Ihnen. Oh, offenbar nicht.« Er nahm Quantz das Glas weg
und sprach weiter. »Und wo wir gerade von der Wahrheit sprechen … Genauso
wahr, mein lieber Compositeur , ist, dass Sie wohl
nicht mehr viele Noten auf Ihr fünffach liniertes Papier bringen werden.
Jedenfalls nicht im Dienste Seiner Majestät.«
»Haben Sie etwa mit
dem König über mich gesprochen?«
La Mettrie sah
Quantz an. »Was glauben Sie? Wie wird sich der König entscheiden? Für oder
gegen Sie?«
»Ich werde zu
Unrecht verdächtigt, etwas mit dem Tod von Andreas Freiberger zu tun zu haben.«
»Aber verdächtigt
werden Sie, das steht nun einmal fest. Und der König ist Herr über Recht und
Unrecht. Und einem solchen Herrn geht es nicht darum, was die Wahrheit ist,
sondern welches Bild man ihm vermittelt. Friedrich geht
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