Schatten über Sanssouci
aus einem
Haus auf der anderen Seite kam. Aus dem Dachgeschoss des Abbruchhauses.
»Hast du das dort
drüben gesehen?«, fragte er.
Sophie kam näher.
»Nein, lass die
Kerzen, wo sie sind.« Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Und
wer auch immer von dort drüben herüberschaute, brauchte nicht zu wissen, dass
Quantz ihn entdeckt hatte.
»Was ist denn?«,
fragte sie.
Jetzt war das Licht
verschwunden. »Mir war so, als sei dort drüben jemand.«
»Das Haus wird
abgerissen«, sagte Sophie. »Es ist unbewohnt.«
»Ob uns jemand von
dort beobachtet?«
»Meinen Sie, das
könnte sein?«
»Ich weiß nur, dass
viele Menschen in Potsdam über uns Bescheid wissen. Und dieser Rat Weyhe war
sofort im Bilde darüber, dass mich Andreas besucht hat …«
Sie gingen vom
Fenster weg. Sophie setzte sich in den Sessel, und Quantz stellte sich an das
Pult. Die kleine Melodie kam ihm wieder in den Sinn, die er in der Nacht
erdacht hatte, als er den Unbekannten getroffen hatte und nach Bornstedt
gefahren war. Er hatte schon geglaubt, die Eingebung sei endgültig dem
Vergessen anheimgefallen.
Er griff zur Feder
und schrieb die Melodie auf. Und wie sie so auf dem Papier stand, wurde sich
Quantz ihrer Banalität bewusst. Ein aufsteigender Dreiklang. Eine Fanfare.
Wieder einmal. Das war keine Musik, das war nur rohes Material. Obwohl ein
anspruchsloser Musikhörer damit vielleicht zufrieden war. Aber nicht der König.
Plötzlich fiel ihm
etwas auf. Auch das Thema, über das Bach vor einem Jahr improvisieren sollte,
begann mit nichts Originellerem. Doch in diesem Fall war es genial – durch
seine raffinierte und ausgewogene Weiterführung.
Das Bild von La
Mettrie kam Quantz in den Sinn. Wie der Franzose, vom Opium angetrieben, Seite
um Seite füllte und voller Befriedigung seine Werke schuf. Gottlose Werke, aber
Werke. La Mettrie war produktiv. So produktiv, wie Quantz selbst in seinen besten
Zeiten kaum gewesen war.
»Wollen Sie
arbeiten?«, fragte Sophie. »Soll ich Sie allein lassen?«
Er legte die Feder
hin. »Nein. Wir haben anderes zu tun. Ich habe anderes zu tun. Ich glaube, das
Beste wird sein, wenn ich mich als ein guter Diener Seiner Majestät erweise und
den König vor den Machenschaften dieses La Mettrie warne.«
»Welche
Machenschaften meinen Sie?«
»Seine seltsamen
Schriften. Seine wahnwitzigen Ideen. Kann es nicht sein, dass sich der König
mit ihm eine Gefahr in seine Nähe geholt hat?«
»Sie glauben, er
nährt eine Natter an seinem Busen?« Sie lächelte. Quantz musste lachen. Diese
blumige Ausdrucksweise kannte er von Sophie nicht.
»Das sagte meine
Tante immer«, erklärte sie.
Er nickte. »Sie
hatte recht. Man muss stets auf der Hut sein, zu wem man Vertrauen hat. Das
gilt für einen König erst recht.«
»Herr La Mettrie
soll also die Natter sein?«
»Und wenn dem so
wäre?«
Sie beugte sich nach
vorn und strich sich nachdenklich mit dem Finger am Kinn. »Es wäre vielleicht
nützlich, Seine Majestät darüber aufzuklären. Um dadurch wieder in seiner Gunst
zu steigen. Doch den Verdacht, mit Deserteuren zusammenzuarbeiten und etwas mit
dem Tod von Andreas zu tun zu haben, werden Sie damit auch nicht los.«
Sie hatte recht.
Wenn er jetzt mit seinen Anschuldigungen gegenüber La Mettrie zum König ging,
dann tilgte das nicht sein Misstrauen. Aber es wäre ein Anfang. Quantz
betrachtete das dürftige Thema, das er auf dem Papier notiert hatte.
»Ich wollte, ich
wäre so wie er«, sagte er. »So voller Schaffensdrang, dass ich täglich ein
neues Konzert komponieren könnte. Aber das ist vorbei.«
»Sie klingen bitter,
Herr Quantz.«
»Habe ich nicht
allen Grund dazu? Ich gehöre bald zum alten Eisen. Und das ist das Schlimmste,
was einem im Leben widerfahren kann. Dieses Sprichwort kommt aus meiner Familie. Mein Vater hat es immer im Munde geführt,
und er wusste, wovon er sprach.«
»Hat er auch das
Ansehen seines Dienstherrn verloren?«
»Nein. Er war
Schmied.«
Da mussten Quantz
und Sophie beide lachen, und es war, als löse die Heiterkeit etwas in ihm. Die
plötzliche Fröhlichkeit stand Sophie gut. Was war sie doch für eine wunderbare
junge Frau. Wenn er da an sein griesgrämiges Eheweib in Berlin dachte. Sophie war
gerade einmal achtzehn Jahre – im allerbesten Heiratsalter. Quantz stach die
Eifersucht bei dem Gedanken, dass sie einmal einen Ehemann finden würde.
»Mir scheint, Herr
Quantz, Sie müssen etwas unternehmen. Sie müssen um Ihr Ansehen kämpfen.«
»Wie
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