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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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den Takt an. Alpha-Beat.
    Er warf einen abschätzenden Blick zu den Tänzern, mit schlafwandlerischer Sicherheit entdeckte er das Mädchen und musterte es von oben bis unten. Ich biss die Zähne zusammen, als er mir wissend zugrinste und die Augenbrauen hob.
    Sobald er sich zu mir beugte, konnte ich ihn wahrnehmen: Facetten verschiedener Gerüche. Am deutlichsten der trockene, staubige Geruch des Pelzkragens, Ambra und ein herber Ton zwischen Haut und Leder, dunkel, gefährlich und warnend. Das war die Botschaft, die ihm die Straßen frei hielt.
    »Na, einen Läufer gefunden?«, brüllte er mir ins Ohr. »Wie heißt sie?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Irves’ Grinsen bekam etwas Freundliches. Zu freundlich.
    Mist.
    »Kleine Jagd?«, schrie er gegen die dröhnenden Bässe an.
    Ich atmete tief durch.
    »Hast du deine Zunge verschluckt?« Sein Grinsen wurde noch breiter. »Was meinst du, würde sie es über die Brücke schaffen?«
    Die Wut kam ganz plötzlich, eine heiße, geballte Faust im Magen. »Arschloch!«, zischte ich ihm zu.
    Irves lachte und klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter. Ich hasste es, berührt zu werden. Genau wie er. Aber das Spiel, das wir beide gerade spielten, war ihm den Verstoß gegen die Regeln unseres Miteinanders wohl wert. Er wandte sich ab und ging: vierzehn verschiedene Geruchsfacetten, die im Nebel aus Schweiß und stechenden Deodorants davontrieben.
    Als ich das nächste Mal den Blick hob, war Irves schon bei der Tür. Um ihn herum sah ich verschwitzte Haare an Stirnen kleben und glänzende Oberlippen, nur Irves störte die Hitze nicht. Zwei bullige, unrasierte Kerle beobachteten ihn, blieben aber, wo sie waren.
    Für Irves begann die Nacht, Zeit für die nächste Bar. Vermutlich das Exil . Es gab nur wenige Clubs, wo die Boxen erträglich sauber klangen und nicht übersteuerten.
    Sobald er verschwunden war, öffnete ich die Fäuste wieder, atmete. Jetzt war es auch für mich Zeit zu gehen und noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Immerhin fing meine Schicht in den Verladehallen des Großmarkts schon in drei Stunden an.
    Aber da war immer noch das Mädchen. Verrückt. Es sollte mich nichts angehen. Das war die erste Lektion, die der Kodex in jede Faser meines Hirns gebrannt hatte: Jeder ist allein.
    Aber trotzdem musste ich sie wenigstens noch einmal ansehen. Ein Blick nur, flüsterte ich mir selbst zu. Vielleicht ein Lächeln. Ich drehte mich um, kniff die Augen zusammen und suchte die Tanzfläche ab. Schneewittchen war nicht mehr da. Auch nicht am Tresen oder bei den fluoreszierenden Plastikwürfeln, die als Tische dienten.
    Deshalb war Irves also so schnell aufgebrochen! Er hatte gesehen, dass sie die Tanzfläche verlassen hatte, und war ihr gefolgt.
    Ich spürte kaum, wie ich die Leute anrempelte, als ich mich zur Tür durchkämpfte. Noch hatte ich die besonderen Merkmale des Mädchens nicht aufgenommen, noch konnte ich sie nicht aus der Masse herauslesen und musste mit den Augen suchen.
    Der Lärm blieb hinter mir zurück, während ich die Treppe hochhetzte. Nur noch dumpf klopften die Bässe im Zwerchfell. Nachtluft wehte Zigarettenqualm in den Vorraum, den Gestank der Abgase und den Geruch von Wasser und Märzwind. Noch bevor ich aus der Tür rannte, zog ich mir die Silikonkegel aus den Ohren. Der jetzt ungefilterte Lärm traf mich wie ein Hieb. Die Sirene eines Krankenwagens, in der Nähe des Denkmals, hinter dem Hotel. Das harte Stakkato von hohen Absätzen auf Asphalt und irgendwo unter mir das Surren der U-Bahn-Räder auf den Gleisen.
    Einer der Türsteher beobachtete misstrauisch, wie ich den Kopf schüttelte, als hätte ich Wasser in die Ohren bekommen. Aber dann war der Gesang der Stadt mit einem Mal nur noch Hintergrundrauschen. Das Mädchen lief gerade über die Straße. Sie ging mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf, die Ampel sprang schon wieder auf Rot. Und hinter ihr: Irves. Sein langer, heller Mantel war fast bis zum Rücken geschlitzt, die Schöße flatterten.
    »Hey, warte mal!«, rief er über die Straße.
    Sie fuhr herum, direkt bei der Ampel, und beobachtete mit unbewegter Miene, wie Irves über Rot zu ihr spurtete. In diesem Augenblick verstand ich, womit sie meinen Blick auf sich gezogen hatte: Sie war nicht nur zum Tanzen unterwegs gewesen. Sie war ausgegangen, um zu vergessen. Ihre ganze Haltung, sogar das Misstrauen in ihren Augen, die Feindseligkeit darin spiegelte ein kaum verheiltes Leid wider. Sie war wütend und traurig und sie

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