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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Denn ich bin es, die strahlt. Die Strahlen von Kummer, Schmerz und Zerstörung aussendet, die alle um mich herum schwächen und schließlich töten würden, wie sie es mit mir tun. Ich merke, wie ich langsam immer fahriger werde. Mein Panzer bröckelt. Heute habe ich im Unterricht geschrien.Das ist mir lange nicht mehr passiert. Ich sammle meine Bücher und Hefte ein und gehe früher nach Hause. Keiner meiner Mitschüler stellt Fragen, nicht einmal die Lehrer.
    Unsere Wohnungstür scheint eine Tonne zu wiegen. Wie eine Tresortür schließt sie die Luft hinter mir ab. Ich lasse meine Schulmappe fallen. Eigentlich sollte ich mir etwas zu essen nehmen. Aber hier drin, in dieser Wohnung, kann ich nicht essen. Ich muss raus, weg! Lotti im Treppenhaus sieht mich ängstlich an. Weiß sie, wie es mir geht? Ich versuche meine Gefühle zu verstecken und zu lächeln, damit ich sie nicht erschrecke. Mühsam kann ich meinem Gesicht die Sekunden abtrotzen, die ich für die Schritte bis zur Haustür brauche.
    Ich muss nicht überlegen, wohin ich jetzt will. Es ist der immer gleiche Weg. Ich schlendere ein Stück weit die Einkaufsstraße hinunter. Es ist noch früher Nachmittag, noch sind die Bürgersteige fast leer. Die Menschenmassen werden erst noch kommen, voraussehbar wie die Flut. Ich habe Glück. Da, an seinem alten angestammten Platz, sitzt der Junge mit dem Hund. Diesmal, schwöre ich mir, lasse ich ihn nicht einfach so verschwinden. Diesmal will ich wissen, wohin er gehört. Ich suche mir einen Platz, auf einer Bank, für ihn verborgen hinter einem Zeitschriftenstand. Ich wickle mich in meine Jacke, ziehe die Beine hoch, beobachte, wie er zu den Einkaufstüten tragenden Leuten hochsieht, die ihm Münzen in seine Dose werfen. Der Hund gähnt, rollt die Zunge und zeigt sein porzellanweißes Raubtiergebiss. Der Hunger nagt an mir, aber heute lasse ich die beiden nicht aus den Augen. Was ist Hunger gegen das Gefühl, das ich mit mir herumtrage? Gegen die Sehnsucht nach Thursen. Die Straße wird voller, die Straßenmusikanten kommen, die Leute, die laut in ihr Handylachen, die schreienden Kinder an Mamas Hand. Und ich sitze immer noch da. Es dämmert. Endlich, endlich steht der Junge auf. Geht in langsamen, vom Sitzen auf dem Beton steifen Schritten zur S-Bahn , und der Hund trottet neben ihm her. Ich bleibe auf Abstand, behalte sie fest im Blick. Bitte, bete ich, lass sie Richtung Wannsee fahren.
    Der Zug in Gegenrichtung fährt ein. Als die Türen schließen, stehen sie immer noch auf dem Bahnsteig. Dann kommt unser Zug. Ich schummle mich kurz vor dem Abfahrtssignal mit hinein, tauche zwischen den Menschen unter, setze mich neben eine Frau, die ihr Fahrrad quer vor uns schiebt. Bin fast unsichtbar hinter ihrem Korb. Als der Zug in Nikolassee hält, steigen der Junge und der Hund aus, und die Frau verbarrikadiert mir mit ihrem Fahrrad den Weg. Als ich endlich draußen bin, sind sie verschwunden. Welchen Ausgang? Ich haste die Treppe hinunter und sehe mich um. Nichts zu sehen. Da höre ich ihre Schritte hallend im Tunnel. Ich habe sie wieder. Mein Herz klopft, nicht nur vom Laufen. Sie überqueren die Brücke über die Avus und folgen dem schmalen Weg, der an der Kreuzung endet. Der Wald beginnt, mein Wald, der Wald, in dem Thursen sich irgendwo versteckt. Der Himmel ist abendgrau. Grau sind die beiden vor mir auch. Darum vielleicht hat mich der fremde Junge so an Thursen erinnert. Noch schmächtiger ist er, noch jünger, aber fast ebenso ohne Farben.
    Sie verlassen den Weg, gehen quer durch den Wald weiter, zwischen Bäumen und Büschen hindurch. Ich versuche zu folgen. Als sie sich umdrehen, verschwinde ich hinter einem moosigen Buchenstamm. Trete auf einen morschen Ast, der unter meinem Fuß zerbricht. Ob sie es gehört haben?
     
    Das Licht wird noch schwächer. Eine Wolke schiebt sich vor den Mond und verdeckt die Sterne. Ist es eine gute Idee, jetzt durch den Wald zu laufen? Tief im Bauch meldet sich die Angst. Neben mir raschelt es im Laub. Ein spätes Eichhörnchen tschirpt empört und springt den Baum hinauf, sodass die Rinde knistert. Es hat wohl recht, ich gehöre hier nicht her. Aber jetzt drehe ich nicht mehr um. Freiwillig wird Thursen nicht zu mir kommen. Wenn ich mit ihm sprechen will, muss ich ihn irgendwie finden, muss jedem Hinweis nachgehen, der mir sagen könnte, wo ich ihn oder seinen Hund finden kann. Als ich hinter dem Stamm wieder hervorkomme, sind der Junge und der Hund verschwunden. Ich laufe einfach

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