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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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jetzt als Mensch. Er trägt nur sein dünnes T-Shirt mit den langen Ärmeln. Sein Mantel ist in der Lagerhalle geblieben. Nie mehr werde ich Thursen in seinem langen Mantel sehen.
    Die Wunde blutet immer noch. Seine Stirn ist rot verschmiert.
    «Brennt das nicht?», frage ich und drücke vorsichtig ein gefaltetes Papiertaschentuch, sonst habe ich nichts, auf die Stelle, an der seine Haut aufklafft.
    «Danke.» Er nimmt es mir ab, presst es sich gegen den Kopf, um die Blutung zu stillen. Seine Handkante ist blauund blutig von der Wucht, mit der er seine Fäuste gegen die Hallenwand geschlagen hat. Die Rechte? Warum hält er das Tuch nicht links, er ist doch Linkshänder.
    «Was ist mit deiner linken Hand?», frage ich.
    «Tut weh», murmelt er, zieht sie weg. Ich greife sie trotzdem und öffne vorsichtig die Faust, Finger für Finger.
    Quer durch die Handfläche ist die Haut aufgerissen bis aufs rohe Fleisch. Ein tiefroter Striemen, den das Seil gezogen hat, als es ihm durch die Hand gerutscht ist. Mein Gott, mit dieser verwundeten Hand hat er Lotti und mich heil auf den Boden gebracht? Wie hat er das nur geschafft?
    Ich versuche, es in seinem Gesicht zu lesen. Im Licht der Flammen, vom Sturm angefacht, kann ich Thursens Gesicht das erste Mal richtig sehen.
    Nein, nicht mehr Thursen.
    «Lars?», probiere ich den neuen Namen.
    Statt seinen veränderten Körper anzustarren, wie Karr es getan hat, sieht er mich an, nur mich. Wie jemand, der aus der Ohnmacht erwacht ist, jemand, der erst langsam begreift, wo er eigentlich ist. Wer er eigentlich ist. Ich kann es ihm auch nicht sagen, noch nicht. Aber wir werden es herausfinden. Gemeinsam.
    «Ach, Luisa!», flüstert er.
    Er legt den Arm um mich und zieht mich an sich. Ganz sanft. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter, und er lehnt seinen Kopf auf meinen. Ich schließe die Augen. Nein, er ist nicht wie Karr. Er kann auch ohne Wolfspelz leben, braucht nicht den Schutz. Nichts kann ihn brechen, er ist stark wie Federstahl. Aber verwunden, verwunden kann man ihn. Ich wünschte, ich könnte ihm ein paar seiner Wunden abnehmen. Seine geprellten Rippen. Diezerschlagenen Hände. Und die Wunden der Seele, den Schmerz wegen seiner toten Mutter.
    Diesmal riecht er nicht nach Wald. Diesmal riecht er nach all diesen schrecklichen Dingen, die heute passiert sind. Nach dem beißenden, chemischen Gestank in der Halle. Und nach dem Feuer, das seinen Rauch zu uns herüberweht. Nach Blut, Schmerz und Angst. Aber wenn ich ganz nah herangehe, ist da noch ein bisschen, ein kleines bisschen der vertraute Geruch nach seiner Haut.
    Ich schlinge die Arme um seinen Hals. Muss meinen Kopf heben und ihn ansehen.
    Was für schöne braune Augen er hat, jetzt als Mensch! Sie leuchten warm und voll wie Tannenhonig. Kein metallisches, kaltes Glitzern mehr und kein Raubvogelgelb. Er wird sich nie mehr verwandeln. Nie wieder werde ich seinen kratzigen, zottigen Wolfspelz streicheln müssen. Ich fahre mit den Fingern durch seine jetzt dunkelblonden Haare, die sich so gut anfühlen wie immer. Kein Wunder, dass sie auch, als er Werwolf war, nicht wirklich schwarz waren. Krähengrau waren sie, und jetzt haben sie die Farbe von Buchenholz, von Leder, von Vollmilchschokolade, von dunklem Messing. Es ist, als hätte jemand eine Schicht von ihm abgewaschen, und jetzt ist er ganz pur. Lars.
    Er scheint etwas Ähnliches zu denken, saugt seine Unterlippe zwischen die Zähne. Hält meinen Blick, während ich ihn nur ansehen kann. Sein Mund ist nicht mehr matt, jetzt ist er lebendig rot, brennend rot wie das Feuer hinter uns.
    Wie wird er sich anfühlen, dieser so andere Mund?
    Ich küsse ihn. Schließe die Augen. Und er antwortet. Küsst mich zurück, und wie er das tut! Vielleicht sieht erein bisschen anders aus als der Thursen, den ich kenne, aber seine Küsse sind immer noch genauso sanft und wild und ich bekomme das gleiche Herzklopfen und das gleiche wilde Wirbeln im Kopf und das Ziehen in der Brust, und er schmeckt wie immer, und jeder Zweifel, er könnte mich nicht mehr wollen, jetzt wo er Lars ist, verfliegt.
    «Luisa!», flüstert er.
    Wir bleiben zusammen. Nichts wird das ändern. Jetzt weiß ich, warum Karr sterben wollte. Er hatte keine Zukunft. Doch Thursen hat eine: mich. Und er ist meine. Darum können wir leben, was immer auch geschieht. Wir haben uns.
    «Luisa, versprich mir was!»
    Ich lache ihm ins Gesicht. «Noch mehr?» Ich habe ihm doch schon mein Leben versprochen.
    Er meint es ernst. «Ich habe

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