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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Hand auf die Schulter. Als ich mich zu ihm umdrehe, sieht er mir in die Augen. Es ist, als würde das Gletscherblau meine Seele kühlen.
    Als eines der Kinder sein Luftballontier mit lautem Knallen platzen lässt, ist der Bann gebrochen.
    Draußen vor der Tür atme ich noch einmal tief durch. «Elias, ich kann das einfach nicht, das ist zu viel.»
    «Bevor du gehst, will ich dir noch jemanden vorstellen», sagt er. Er führt mich den Gang entlang und bleibt vor einem Glasfenster stehen. Im Krankenzimmer dahinter liegt jemand einbandagiert wie eine ägyptische Mumie in einem Bett.
    «Das ist Mandy. Sie ist elf Jahre alt. Sie war mit ihrer Familie unterwegs in den Skiurlaub. Doch bei Hannover hatten sie einen schlimmen Unfall. Mandy konnte von der Feuerwehr gerade noch aus dem brennenden Auto gerettet werden. Aber ihre Eltern haben es nicht geschafft und auch nicht ihre Schwester. Wenn sie aus dem Krankenhaus rauskommt, wird sie bei ihrer Tante in Prenzlberg wohnen. Darum ist sie aus dem Krankenhaus in Hannover auch so schnell wie möglich hierher verlegt worden. Mandys Tante kommt, sooft es geht, aber sie muss arbeiten. Und Mandy ist jeden Tag viel zu viele Stunden allein. Sie hat Schmerzen. Sie kann nicht aufstehen und nicht spielen gehen. Sie freut sich auf uns.»
    Ich stöhne leise. Ich habe genug Krankenhaus für heute erlebt, es reicht. Ich will nur noch hier raus! Aber wie soll ich das tun, nach dem, was Elias mir erzählt hat? Verdammt, warum muss er mich so unter Druck setzen! «Ist ja gut, ich bleibe», sage ich.
    «Dann lass uns reingehen. Und wunder dich nicht. Mandy ist manchmal vom Schmerzmittel etwas benommen.»
    Wir gehen in einen kleinen Vorraum. «Wie lange ist sie schon hier?», frage ich, während wir uns Kittel überziehen.
    «Ungefähr sieben Wochen. Und sie wird wohl auch noch eine Weile bleiben. Mandys Haut wird im Labor nachgezüchtet und auf die verbrannten Stellen verpflanzt. Das kann man nicht auf einmal operieren.»
    Wieso passiert Kindern so etwas Schreckliches? «Meine Güte. Das ist ja –»
    «Stopp!», unterbricht mich Elias. «Wir wollen sie ablenken und fröhlich machen. Traurig und einsam sein kann Mandy auch alleine. Fertig?»
    Ich nicke, versuche mich daran zu erinnern, wie Lächeln geht, und Elias drückt die Türklinke herunter.
    «Hallo, Mandy, alles klar?», fragt er. Tut so, als würde er ihre Hand abklatschen, die sie in den Verbänden nicht mal einen Zentimeter bewegen kann.
    «Nein, was denkst du denn? Morgen ist schon wieder eine OP ! Man darf den ganzen Morgen nichts essen. Und danach, wenn man wieder aufwacht, hat man wegen der ganzen Mittel, die man nehmen muss, keinen Hunger mehr!» Sie ist schlecht zu verstehen, das Sprechen macht ihr Mühe. «Machst du mal mein Bett hoch?», fragt sie.
    «Guck, ich habe dir jemanden mitgebracht.» Elias stellt das Kopfteil ihres Bettes schräg, damit Mandy uns richtig sehen kann. Mühsam dreht sie den bandagierten Kopf und schaut mich an. Spätestens jetzt sollte ich zuversichtlich lächeln. Wie bei meinem Bruder damals. Alles wird gut! Nichts wird gut, aber wir tun alle so als ob. Was für ein Scheiß!
    «Das ist Luisa», erklärt Elias. «Wenn sie sich hier ein bisschen besser auskennt, werden wir uns manchmal abwechseln.»
    «Hallo, Luisa!», sagt Mandy.
    Ich stelle mich so, dass sie mich sehen kann, ohne den Kopf zu verdrehen. Blase einen langen weißen Ballon auf. Drehe, knicke, biege und überreiche ihr mein Meisterwerk.
    «Ein Schwan!», freut sie sich.
    «Ich war letztes Jahr oft draußen im Grunewald am Wannsee, da gibt es viele Schwäne», sage ich. «Sie gleiten auf dem Wasser wie Feenboote, und ich habe mich manchmal gefragt, ob sie eigentlich noch zu unserer Welt gehören oder zu einer anderen.»
    Elias wirft mir einen überraschten Blick zu, aber er sagt nichts. Er führt seine kleinen Zaubertricks vor, und ich übernehme für Mandy all das, was in den anderen Zimmern die Kinder gemacht haben. An Tüchern zupfen, die geheime Kästen verdecken. Seile kompliziert verknoten. Mandy gibt mir genaue Anweisungen. Sie kann sich ja kaum bewegen. Elias zaubert eine Goldmünze hinter meinem Ohr hervor, die er sicherlich vorher in seinem Jackenärmel hatte. Mandy lacht. Schließlich packen wir zusammen und gehen zurück in den Vorraum.
    «Wird sie wieder gesund?», frage ich Elias, während wir die Kittel wieder an die Haken hängen.
    «Nein», sagt Elias.
    Wir gehen auf den Gang zurück, und Elias schließt die Tür hinter uns.

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