Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Fernsehserien und sogar in Hollywoodfilmen mitgespielt.»
Hinter der Tür liegt ein graustaubiger Saal. Der Geruch von muffiger Kälte schlägt mir entgegen. Ja, hier, zwischen den Marmorsäulen, unter der bemalten Decke, durch die sich noch die Risse aus dem Zweiten Weltkrieg ziehen, könnte ich mir Spione des Kalten Kriegs vorstellen. Oder Luxusreisende, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit Schrankkoffern aufgebrochen sind, die Welt zu sehen. Doch die Halle ist vollkommen leer. Unsere Schritte auf dem harten Boden zerklackern die winterkalte Stille in rhythmische Teile.
«Das mit den Filmarbeiten hat für uns den Vorteil, dass der Strom nicht abgeschaltet ist und der Fahrstuhl funktioniert», sagt Elias. «Wir wohnen nämlich ganz oben.»
Er führt mich durch einen dunklen Gang, von dem rechts und links unendlich viele Türen abgehen. «Pass auf, dass du dich nicht verläufst!», warnt er mich. «Das Haus ist so groß, dass du Wochen darin herumirren kannst!»
Das glaube ich ihm sofort. Schon dieser Flur ist endlos. Obwohl es keine Fenster gibt, kommt von irgendwo trotzdem ein Luftzug. Es rauscht und braust, und ich habe fast das Gefühl, als würde das Haus sprechen. Leise wispernd erzählt es von Träumen, die untergegangen sind, noch bevor sie richtig beginnen konnten. Ich wüsste gerne, wohin die Türen rechts und links wirklich führen. Liegen dahinter tatsächlich nur leere, verstaubte Räume, oder hat man die Zeit, die verrinnende Zeit, dort ebenfalls eingeschlossen? Scheint in einem dieser Zimmer vielleicht noch die Mittagssonne durchs Fenster? Und auf einmal ist mir, als wenn es nicht nur hinter den Türen so ist. Als wenn in diesem ganzen brausenden, wispernden Haus die Zeit langsamer, gemächlicher verstreicht. Als habe die Realität hier nur gedämpft Zugang. Vielleicht benutzen die Filmgesellschaften das Haus deshalb so gerne als Drehort?
Kurz vor Ende des Ganges wendet Elias sich nach links, wo sich ein Fahrstuhl in einer Mauernische verbirgt. Elias öffnet die Tür des kleinen, altersschwachen Gitterkäfigs und lässt mich eintreten. Ich zögere und traue mich dann doch. Er klappt die Tür hinter uns zu, drückt den obersten Knopf, ein Scherengitter schließt sich, und wackelig und quietschend werden wir im dunkel gestrichenen Fahrstuhlschacht nach oben gezogen. Nacheinander kann ich in die dunklen Gänge der verschiedenen Geschosse sehen.
«Das hier ist der Dienstbotenaufzug. Es gibt auch noch einen richtig schicken Aufzug im Eingangsfoyer», erzählt Elias. «Den hat früher der Liftboy mit einem Schlüssel bedient, aber er führt nicht bis ganz oben.»
Als der Fahrstuhl hält, schiebt er das bockige Scherengitter, das sich knarrend und quietschend wehrt, zur Seite und öffnet die Tür.
«Mit diesem Ding musst du immer fahren, wenn du rein- und rauswillst?» Skeptisch schaue ich ins Treppenhaus hinunter. Fünf Etagen sind in so alten Gebäuden ziemlich hoch. «Macht dir das gar keine Angst?»
«Wir haben die Seile natürlich bei unserem Einzug kontrolliert.»
«Trotzdem geht es unter diesem wackligen Kasten ziemlich weit runter!»
«Ich hatte noch nie Höhenangst.» Elias führt mich durch einen weiteren Korridor mit tausend Türen. Wieder höre ich dieses Rauschen und Wispern, als würde das Haus sprechen. «Das ist die alte Lüftungsanlage», sagt er, als er meinen Blick bemerkt. Endlich ist der Flur zu Ende, und wir durchqueren eine kleinere Halle mit einem Kamin und bleiben vor einer modernen Tür aus honigfarbenem Edelholz stehen. «Hier oben waren früher die Dienstbotenzimmer, und später dann wurden die Räume als Behördenarchiv genutzt. Aber keine Angst, wir haben nicht nur eine Zwischenwand eingesetzt, wir haben auch ein bisschen renoviert.»
Gemeinsam treten wir ein. Was für ein Unterschied! Es ist sauber und hell. Die Luft riecht nicht mehr wie eine Mischung aus Keller und Dachboden. Das Parkett ist abgeschliffen, und selbst hier im obersten Stockwerk sind die Decken stuckverziert. Alles ist renoviert, doch so wenig wie möglich verändert. Als hätte man das Haus, das in den anderen Stockwerken noch in tiefem, totenähnlichem Schlaf liegt, aufgeweckt. «Komm, sie sind bestimmt in der Küche», sagt Elias, doch ich höre ihn kaum. Während ich über das in Mustern verlegte Eichenparkett gehe, erinnere ich mich an die Schlösser, die ich mit meinen Eltern besichtigt habe, als ich noch klein war. Wie ich heimlich nach einem Gespenst suchte, das irgendwo in einem
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