Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
erklären, warum die Mütze von Mauriks gestern so neu und weinrot leuchtete. Die hatte er wohl auch gerade erst in einem der Läden «gefunden».
«Ich dachte, man streut erst Salz drauf, wenn das Fleisch gar ist.»
«Das Fleisch ist gar. Und übrigens: Es ist Reh. Das wolltest du doch vorhin wissen, oder?»
Reh. Das, was Sjöll am liebsten aß. Was hätte sie wohl von dem großen Rudel hier gehalten? Zrrie neben mir reißt mit den Zähnen einen Bissen Fleisch von ihrem Spieß. Kaut. Schluckt und beißt wieder ab. Ich will hier nicht essen. Nicht mit diesen neuen, fremden Wölfen zusammen.
«Wenn du dein Fleisch nicht isst, nehm ich es!», sagt Norrock. Steht auf, kommt zu mir, nimmt mir den Streuer aus der Hand und kippt Salz auf meinen Fleischspieß. «Los jetzt! Iss!»
Ich probiere. Ja, es schmeckt. Und erst als ich kaue, merke ich, dass ich hungrig bin. Dass ich seit Stunden nichts gegessen habe.
Als die Spieße abgenagt sind und in der Feuerschale nur noch ein paar glühende Holzstücke in der Asche liegen, geht Roff ums Feuer herum und sammelt die Bratspieße ein. Auf Norrocks Handzeichen hin verschwinden die Wölfe in den umliegenden Wald. Die Menschen stehen auf, strecken sich, werden zu Wölfen und folgen ihnen.
Zurück bleiben wir. Norrock, der breitschultrige Leitwolf in der abgewetzten, schwarzen Lederjacke, der Junge mit den Dreadlocks, der sich noch nicht verwandeln kann, und ich.
Und dann fühle ich Norrocks schwere Hand auf meiner Schulter. «Irudit bringt euch beide jetzt zum Versammlungsplatz», sagt er. «Zeit für die Wolfsnacht.»
Ich schüttle seine Hand ab. «Es ist nicht Nacht, Norrock.»
Er lacht. «Du bist ja auch noch kein Wolf. Wenn der Mond aufgeht, solltest du aber so weit sein, dass wir dich das erste Mal verwandeln können. Und wie es aussieht, könnte das bei dir etwas länger dauern.»
Ich fühle, wie mein Herz hämmert, jeden Moment bereit zur Flucht. «Norrock, nein! Lass mich gehen!»
«Siehst du, das meine ich. Früher wolltest du doch unbedingt Werwolf werden! Ich musste sogar versprechen, dich zu verwandeln, erinnerst du dich noch?»
Ich kreuze meine Arme vor der Brust, damit ich nichts so Dummes tue, wie auf einen Werwolf loszugehen, denn danach ist mir jetzt. «Verdammt, das war, als Thursen Werwolf war! Das will ich doch jetzt nicht mehr!»
«Tja, eine Verwandlung musst du Haddrice schon vorführen.»
«Und dann lässt du mich gehen?»
Norrock grinst mich an. «Lass dich überraschen!»
Ich hasse Norrock. Überlege, ob ich ihn vielleicht mit einem Knüppel bewusstlos schlagen und dann davonlaufen kann. Als hätte er meine Gedanken gelesen, knurrt Norrock und lässt Reißzähne in seinem Mund und schwarzes Wolfsfell schattengleich über sein Gesicht wachsen. Die Hand, mit der er nach mir greift, hat stumpfe Krallen. «Du tust, was ich sage, Luisa!», knurrt er.
Dann wendet er sich um. «Irudit! Bring die beiden zum Versammlungsplatz und erklär ihnen, was sie erwartet.»
Irudit kommt auf uns zu. Jetzt, wo sie lächelt, zeigen sich Grübchen in ihren Wangen, die so gar nicht in ein blasses Werwolfsgesicht passen.
«Ich darf ihnen von der geheimen Zeremonie erzählen?»
«Ja, ja, heute kannst du mal darüber reden. Aber ansonsten hältst du den Mund, klar?»
Sie nickt, dass die fast weißen Strähnen auf ihrem Kopf wippen. «Natürlich!»
Mit dem Dreadlocksjungen an der einen und mir an der anderen Seite macht Irudit sich auf den Weg.
«Wir haben schon alles vorbereitet», erklärt sie uns. «Ich bin ja richtig bei Vollmond verwandelt worden, aber diesmal wollte Norrock nicht warten, bis wieder Vollmond ist, und macht eine Ausnahme. Geht nicht so schnell!», hält sie uns zurück. «Fühlt den Wald! Morgen schon werdet ihr ein Teil von ihm sein und lernen, euch lautlos in ihm zu bewegen so wie wir.» Wir werden langsamer, versuchen, weniger Geräusche zu machen. Und auch Irudits Stimme wird leiser, beschwörender. «So ist es richtig! Habt Achtung vor dem Wald, dem Leben und dem Sterben. Dann riecht ihr das Holz der toten Bäume und fühlt den Herzschlag der anderen Tiere um euch herum!»
Wir schreiten einen Schritt nach dem anderen durch den Wald. Es kommt mir vor, als wäre das, was wir tun, eine schwarzmagische Handlung, als würden wir zu einer geheimen Messe gehen. Nur sind wir es, die auf dem Altar geopfert werden sollen. Ich will keinen Schritt weiter und muss doch. Knisternd und tastend setze ich einen Fuß vor den anderen, bis die Bäume
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