Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
ehe er sie in den Taschen seiner Jeans vergräbt.
Jetzt geht auch Norrock in den Kreis. Und dann, unausweichlich, bin ich dran. Irudit winkt mich zu sich. Ich reihe mich rechts von ihr ein. Neben mir Norrock, dann Haddrice. Zrrie steht mir gegenüber. Da ist Fath, da Krestor und Lurnak, aneinandergedrängt, dass ihr Fell sich berührt.
Der Nebel wird dichter und hüllt uns ein. Schon kann ich den Boden vor mir nicht mehr sehen. Norrock legt mir die Hand auf die Schulter. «Lasst uns anfangen», sagt er, als die Nebelschwaden den Kreis zwischen uns ausgefüllt haben. Man sieht nur noch die Menschenköpfe, die Wölfe sind bereits in die weißen Schleier eingetaucht wie in eine Zwischenwelt.
Wir Menschen knien uns hin. Legen einander die Hände auf die Schultern und den Wölfen ins Fell. Das Heulen beginnt. Die Wölfe, die Menschen, wir alle verweben unsere Töne zu einem Gespinst, dass Tag und Zeit zerfließen.
Mauriks wird Wolf. Haddrice. Neben mir Irudit. Plötzlich prickeln Haare unter meiner rechten Hand. Und dann, als auch Norrock zum Wolf wird, fühle ich die Wolfskraft mit aller Macht durch mich hindurchschießen, als hätte jemand ein geheimes Tor geöffnet. Ich stemme mich dagegen, will mich nicht mitreißen lassen. Ich schließe die Augen, klammere mich mit letzter Kraft an das Gefühl von Thursens Kette um meinen Hals. Schicke von der Wolfskraft hinein, dass es wie Trockeneis brennt auf meiner Haut. Bleibe Luisa. Bleibe mit jedem Atemzug Luisa. Zähle meine Herzschläge. Luisa. Es rauscht, es pulsiert durch mich hindurch wie ein mächtiger, reißender Strom. Ein spitzer Schrei lässt mich aufblicken. Der Dreadlocksjunge fällt vornüber in den Nebel. Bricht den Kreis. Sofort verwischt der dunkle Schatten von Fell auf seinem Rücken und an seinen Armen, und einen Atemzug später erinnert nichts mehr an seine beginnende Verwandlung. Zusammengekrümmt bleibt er liegen. Die Fäuste vor sein Gesicht gepresst. Schluchzen schüttelt ihn.
Norrock neben mir ist wieder Mensch. «Das war ja wohl noch nichts», sagt er. Steht auf und wischt sich ein trockenes Blatt vom Hosenbein. «Hab ich schon besser gesehen.»
Ich auch. Damals, als Norrock sich mit Zrrie zusammen verwandelt hat, damit sie ihre Albträume übersteht. Er war ganz bei ihr und hat ihr den Weg in die Wolfswelt gezeigt. Doch das hier eben? Diese ganze Zeremonie ist nicht besser als eine sinnlose Mutprobe.
Ich knie mich neben den weinenden Jungen. Versuche, ihn zu berühren, doch er schiebt meine Hand weg.
«Los, steht auf», sagt Haddrice. Stößt den Jungen mit der Stiefelspitze in den Rücken. «Ihr bekommt ja bald eure zweite Chance.» Der Junge kommt mühsam auf die Beine, wischt sich verschämt die Tränen der Enttäuschung aus den Augen. Haddrice greift nach dem Jungen, will ihn stützen und näher ans Feuer bringen, aber er zieht den Ellenbogen weg. Sein verletzter Stolz hält ihn aufrecht, als er Schritt für Schritt zum Feuer wankt.
Haddrice zuckt die Achseln. Als ich ihm folgen will, hält sie mich zurück.
«Wenn du versuchst zu fliehen, töte ich dich», sagt sie. «Ich weiß, dass du dich gegen die Verwandlung gewehrt hast. Interessant, dass du die Kraft dazu hattest. Nachher wirst du neben mir knien. Dann werden wir sehen, ob du wie ein normaler Mensch Wolf wirst oder wie einer von den Feinden stirbst.»
«Ja, das werden wir sehen, Haddrice.» Ich folge dem Jungen zum wärmenden Feuer und sehe dann Haddrice nach, wie sie sich Richtung Lager entfernt. Sie geht mit langen, entschlossenen Schritten. In ihren kurzen, schneefeuchten Haaren schimmern Schneekristalle. Haddrice ist schön. Von der eisigen Schönheit einer blank polierten Messerklinge. Steht Norrock jetzt auf so etwas? Nach der feenhaften Sjöll auf die todbringende Haddrice? Ich habe die Blicke gesehen, die er Haddrice zugeworfen hat. Sie scheint die Einzige zu sein, die ihm etwas sagen darf, so wie früher Sjöll. Und trotzdem hat er Haddrice und Mauriks zu Sjölls Baum geschickt, um das Licht dort zu erneuern. Vergessen kann er Sjöll also genauso wenig wie ich meinen Bruder.
Der Dreadlocksjunge kauert auf dem Boden und zittert am ganzen Körper. Es ist immer noch eisig, und er hat fast nichts an. Ich gehe so nah wie möglich ans Feuer, um mich zu wärmen. Meine Finger tasten nach Thursens Kette. Heimlich halte ich den Anhänger umklammert.
Eigentlich wollte ich längst bei Thursen sein. Vermisst er mich? Vielleicht versucht er gerade, mich zu erreichen. Aber das Handy
Weitere Kostenlose Bücher