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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Wald gelaufen.» Er zieht einen Mundwinkel hoch, lächelt ein gebrochenes Lächeln. «Einmal wäre ich gerne mit dir hinter der Beute hergehetzt, hätte gemeinsam mit dir die Kraft und die Geschmeidigkeit der Wolfskörper gespürt. Leise und tödlich hätten wir uns den Wald zu eigen gemacht.» Er küsst mich, stupst seine Nase an mein Ohrläppchen. «Einmal nur hätte ich gerne gefühlt, wie intensiv dein Geruch auf mich als Wolf wirkt.»
    Ich würde ihm gerne seinen Wunsch erfüllen, aber er kann sich nicht verwandeln, nie mehr. Nur weiß ich auch das nicht, weil ich mich erinnere, sondern weil er es mir gesagt hat. So viel musste er mir von uns erzählen. Wäre da nicht dieses Gefühl der Verbundenheit in mir gewesen, stark und unverbrüchlich wie mein Herzschlag, dann hätte das alles von der großen Liebe zwischen uns genauso gut nur seine Erfindung sein können. «Ich wäre gerne schon jetzt wieder Mensch. Dann würde ich nicht ganz vergessen, was ich mal war. Dann kämen endlich die Erinnerungen zurück. Nicht die schwarzen, vor denen du mich warnst, auch die an dich. Ich kann mich noch nicht mal mehr an unseren ersten Kuss erinnern.»
    «Dann hast du ja etwas, worauf du dich freuen kannst.»
    «Erzähl es mir!»
    «Nein.» Er schüttelt den Kopf. «Die Erinnerungen kommen schon wieder. Guck mal, ich habe dir Hafer-Trüffel-Kekse mitgebracht. Solche Kekse hat meine Mutter immer für mich gekauft, als ich klein war. Damals, vor ihrer depressiven Zeit, als es ihr noch gutging. Direkt neben unserem Kinderarzt war eine kleine Bäckerei mit einer braunen Holztür. Jedes Mal, nachdem wir beim Arzt waren, sind wir erst zur Apotheke gegangen, um meine Medizin zu holen, und danach durfte ich mir Kekse in der Bäckerei aussuchen. Ich war fest davon überzeugt, dass es in Wirklichkeit die Kekse waren, die mich wieder gesund werden ließen und nicht die bittere Medizin.»
    Ich öffne den Clip an der durchsichtigen Tüte. Die Kekse riechen süß und kernig und voll.
    Ich bin mir nicht sicher, aber: «Solche Sachen hast du mir früher nicht erzählt, oder?»
    «Nein, habe ich nicht.»
    «Warum nicht?» Ich halte ihm die Tüte hin.
    Er greift hinein, ohne hinzusehen, seinen Blick immer noch auf mich gerichtet. «Wenn ich dich ansehe, wie du dich veränderst, blasser, farbloser wirst, dann erinnerst du mich so sehr an mich selbst. Ich dachte damals, es gibt keinen Weg zurück. Ich dachte, alles aus meiner Vergangenheit ist für immer weg. Für mich war das nicht so wichtig, ich wollte ja vergessen. Jedenfalls dachte ich das damals.»
    «Ich will nicht alles verlieren. Ich habe Angst, dass ich mit meinen Erinnerungen auch mich selbst verliere. Ich weiß nicht mal mehr, wie ich war, als ich noch Mensch war. Dabei ist das erst so kurz her! Wenn das alles für immer weg ist wie eine gelöschte Festplatte, dann hat Nick gewonnen! Dann hat Nick mich zerstört, obwohl ich noch lebe.»
    «Du hattest keine andere Wahl. Haddrice hatte recht, du musstest dich in einen Werwolf verwandeln, um zu heilen. Wärest du Mensch geblieben, hätte Nick dich mit seinem Angriff erst recht zerstört, weil du nämlich verblutet wärest. Dann wärest du jetzt tot. Wäre dir das lieber?»
    «Natürlich nicht. Ich habe nur Angst, das ist alles.»
    «Das weiß ich. Darum habe ich dir das von mir erzählt. Ich hatte so vieles vergessen, als ich Werwolf war, aber jetzt ist die Erinnerung wieder da. Ich habe wieder den Duft in der Bäckerei in der Nase und weiß, was die Ladentür für ein Geräusch machte, wenn man sie öffnete. Leider gibt es die Bäckerei nicht mehr. Ich habe die Kekse woanders gekauft.» Er betrachtet den Keks, steckt ihn sich in den Mund und kaut.
    «Und deine Mutter, erinnerst du dich auch an sie?»
    Er nickt, schluckt und erzählt dann weiter. «Ja, und ich weiß auch noch, was für eine Frisur meine Mutter zu dieser Zeit hatte.» Er lächelt in sich hinein. «Es war die Zeit der Dauerwellen, lauter Löckchen hatte sie auf dem Kopf. Ich erinnere mich noch an einen Besuch beim Arzt, meine Mutter trug eine weinrote Steppjacke und Jeans. Ich weiß noch, wie sie lachte, als ich ihr danach gestanden habe, dass ich sie angeschwindelt hatte.»
    «Du hast sie angeschwindelt? Was hast du gemacht?»
    «Ich war absichtlich krank geworden.»
    «Warum das denn?»
    «Meine Mutter war lange zu einer Kur weg und endlich nach Hause gekommen. Sie hatte mir so gefehlt. Ein paar Tage war sie noch zu Hause und konnte sich um mich kümmern. Dann musste sie

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