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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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auf «Anruf abweisen».
    Während Hank ihr die alte Geburtstagsgeschichte erzählte,
    von dem Tag, als Lena und ihre Zwillingsschwester Sibyl
    bei ihm einzogen und dass es der glücklichste Tag seines Lebens gewesen sei, verließ Lena ihr Zimmer und lief den Flur hinunter. Im Bad sah sie sich noch einmal im Spiegel an. Sie hatte Ringe unter den Augen, doch das würde sich mit ein wenig Make‐up beheben lassen. Nur den violetten
    Riss in der Unterlippe konnte sie nicht kaschieren, wo sie zu fest draufgebissen hatte.
    Am Spiegel hing ein Foto von Sibyl. Es war ungefähr
    einen Monat vor ihrem Tod aufgenommen geworden, und
    auch wenn Lena das Bild am liebsten abgenommen hätte –
    dies war nicht ihr Haus. Wie jeden Morgen verglich Lena
    das Foto ihrer Zwillingsschwester mit ihrem Spiegelbild,
    und es gefiel ihr nicht, was sie sah. Als Sibyl starb, hatten sie sich zum Verwechseln ähnlich gesehen. Jetzt waren
    Lenas Wangen eingefallen, und ihr Haar war nicht mehr
    so dick und glänzend. Sie sah viel älter aus als dreiunddrei‐

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    ßig, und mehr als an allem anderen lag das an der Härte in
    ihren Augen. Ihre Haut schimmerte nicht mehr wie frü‐
    her, doch Lena gab die Hoffnung nicht auf, wieder zu ihrem alten Selbst zu finden. Sie ging jeden Tag joggen, und fast jeden Abend verbrachte sie mit Ethan im Fitness‐Stu-dio und stemmte Gewichte.
    Die Warteschleife machte sich piepend bemerkbar, und
    Lena knirschte mit den Zähnen. Sie wünschte, sie hätte
    Ethan nichts von der verspäteten Periode gesagt. Sie hatte
    ihre Tage ohnehin nie regelmäßig bekommen, aber so
    spät wie diesmal war sie noch nie dran gewesen. Vielleicht
    machte sie zu viel Sport – dabei musste sie doch fit sein für
    die Arbeit. In den vergangenen sechs Wochen hatte sie
    trainiert wie für einen Marathon. Und Ethan hatte Recht
    mit dem Stress. Sie stand tatsächlich unter enormem
    Druck in letzter Zeit. Um genau zu sein, seit zwei Jahren.
    Lena legte eine Hand vor die Augen. Sie würde jetzt
    nicht darüber nachdenken. Letztes Jahr hatte ihr eine ziem‐
    lich gute Therapeutin gesagt, dass Verdrängen manchmal
    etwas Gutes war. Heute war eindeutig ein Tag für die Scar‐
    lett‐O'Hara‐Nummer. Sie würde morgen darüber nach‐
    denken. Scheiße, vielleicht auch erst nächste Woche.
    Sie unterbrach Hank mit seiner Geschichte, bei der er
    ein paar Details ausließ, wie zum Beispiel die Tatsache,
    dass er drogensüchtig und Alkoholiker gewesen war, als
    das Jugendamt ihm Sibyl und Lena auf den Schoss gesetzt
    hatte – und das war noch der schönere Teil der Geschichte.
    «Wie ist es am Wochenende gelaufen?»
    «Besser als gedacht», sagte Hank zufrieden. Am letzten
    Wochenende hatte er seine heruntergekommene Bar am
    Rande des miesen Städtchens, in dem Lena aufgewach‐
    sen war, als Karaoke‐Bar neu aufgezogen. Angesichts von

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    Hanks Stammkundschaft war das ein echtes Wagnis, doch
    Hanks Erfolg bestätigte Lenas Theorie, dass besoffene Hin‐
    terwäldler zu allem fähig waren, sobald das Licht schwum‐
    merig wurde.
    «Schätzchen», Hank schlug einen ernsten Ton an. «Ich
    weiß, dass heute ein großer Tag für dich ist ...»
    «Keine große Sache», unterbrach sie ihn. «Wirklich.»
    «Vor mir musst du nicht die Starke markieren», brauste
    er auf. Manchmal war er ihr so ähnlich, dass es Lena kalt den Rücken hinunterlief. «Ich wollte nur wissen, ob du
    irgendwas brauchst –»
    «Alles bestens.» Sie wollte dieses Gespräch nicht schon
    wieder führen.
    «Lass mich wenigstens ausreden, verdammt nochmal»,
    knurrte er. «Ich wollte dir nur sagen, wenn du irgendwas brauchst, ich bin für dich da. Nicht nur Geld und so. Ich bin da für dich.»
    «Mir geht es gut», wiederholte sie. Eher würde die
    Hölle zufrieren, als dass Lena Hank um irgendetwas bat.
    Das Telefon piepte, doch Lena ignorierte es tapfer. Sie
    ging in die Küche und hätte sich auf dem Absatz umge‐
    dreht, wenn Nan sie nicht am Arm gepackt hätte.
    «Alles Gute zum Geburtstag!», rief sie und klatschte
    überschwänglich in die Hände. Sie nahm ein Streichholz,
    und Lena sah zu, wie sie die einzelne Kerze auf einem
    Napfkuchen mit weißem Zuckerguss anzündete. Auf der
    Arbeitsplatte stand noch ein ähnlicher Kuchen mit einer
    Kerze, den Nan jedoch nicht beachtete.
    «Happy birthday to you», stimmte sie an.
    Lena sagte zu Hank: «Ich muss aufhören.»
    In dem Moment, als sie auflegte, klingelte das Telefon
    auch schon wieder. Lena drückte fast

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