Schattenblume
los und fluchte leise vor sich hin.
«Was hast du gesagt?»
«Ich habe gesagt, dass es eh schon jeder weiß, du Idiot.
Jeder auf dem Revier weiß Bescheid.»
«Aber sie wissen nicht alles», erinnerte er sie mit einem drohenden Unterton.
Lena warf einen Blick auf den Wecker neben ihrem Bett.
Sie durfte nicht zu spät kommen an ihrem ersten Tag. Die Lage war schon gespannt genug, ohne dass sie als Letzte
hereinschneite. Frank würde das nur als weiteren Beweis
dafür ansehen, dass sie noch nicht reif für einen Neuan‐
fang war, und Matt, sein Kumpel, wäre natürlich der gleichen Meinung. Der heutige Tag war für Lena eine schwere
Prüfung, schwerer noch als ihr allererster Tag in Uniform.
Wie damals würden alle nur darauf warten, dass sie Feh‐
ler machte. Der Unterschied war, heute hätten sie Mitleid, 34
wenn Lena es verbockte, während sie sie damals ausgelacht
hätten. Und sogar mit Schadenfreude konnte Lena besser
umgehen als mit Mitleid. Wenn es heute schiefging, wüsste
sie nicht, was sie tun sollte. Fortziehen, wahrscheinlich.
Vielleicht war in Alaska noch eine Stelle frei.
Zu Ethan sagte sie: «Ich komme heute Abend wahr‐
scheinlich spät nach Hause.»
«Macht nichts», sagte er. Die Aussicht, sie später viel‐
leicht noch zu sehen, besänftigte ihn. «Komm einfach bei
mir vorbei.»
«Dein Wohnheim stinkt nach Kotze und Pisse.»
«Dann komme ich bei dir vorbei.»
«Super Idee. Mit der lesbischen Geliebten meiner toten
Schwester nebenan? Nein, danke.»
«Ach, komm schon, Baby. Ich will dich sehen.»
«Ich weiß aber nicht, wie spät es wird», sagte sie. «Und dann bin ich wahrscheinlich müde. »
«Wir können einfach schlafen», schlug er vor. «Ist mir
egal. Ich will dich sehen.»
Seine Stimme war jetzt sanft, doch Lena wusste, wenn
sie ihn abwies, würde er böse werden. Ethan war erst drei‐
undzwanzig, fast zehn Jahre jünger als sie, und er hatte noch nicht begriffen, dass eine Nacht in getrennten Betten
nicht das Ende der Beziehung bedeutete. Obwohl sich Lena
manchmal wünschte, sie könnte sich einfach wieder von
ihm trennen. Vielleicht schaffte sie es jetzt, wo sie wieder in
ihrem Beruf arbeitete und sich mit anspruchsvolleren Fra‐
gen beschäftigte als mit dem täglichen Fernsehprogramm.
«Lena?», gurrte Ethan, als ahnte er, was ihr durch den
Kopf ging. «Ich liebe dich, Baby. Komm heute Abend zu
mir. Ich koche was und besorge eine Flasche Wein ...»
«Ich habe meine Tage nicht bekommen.»
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Er schnappte nach Luft, und sie bedauerte, dass sie sei‐
nen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte.
«Das ist nicht lustig.»
«Meinst du, ich mache Witze?», fragte sie. «Ich bin drei Wochen überfällig.»
Er schwieg, dann sagte er: «Das kann auch vom Stress
kommen, oder?»
«Oder vom Sperma.»
Er schwieg, sein Atmen war das einzige Geräusch in der
Leitung.
Sie brachte ein künstliches Lachen zustande. «Na, liebst
du mich immer noch, Baby?»
Seine Stimme klang kühl und beherrscht. «Hör auf, so
zu reden.»
«Pass auf», sagte sie, sie bereute, dass sie es überhaupt erwähnt hatte. «Keine Sorge, okay? Ich kümmere mich
drum.»
«Was soll das heißen?»
«Es heißt, was es heißt, Ethan. Wenn ich ...» Sie brachte nicht einmal das Wort über die Lippen. «Wenn was passiert ist, kümmere ich mich drum.»
«Du kannst doch nicht –»
Das Telefon piepte, und Lena war noch nie so dankbar
für die Anklopffunktion gewesen. «Ich muss drangehen.
Wir sehen uns.» Sie schaltete auf den anderen Anruf um,
bevor Ethan noch etwas sagen konnte.
«Lee?», fragte eine tiefe Stimme. Lena unterdrückte
einen Seufzer. Vielleicht wäre es doch besser gewesen,
Ethan an der Strippe zu behalten.
«Hallo, Hank.»
«Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Schätz‐
chen!»
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Unwillkürlich musste sie lächeln.
«Hast du meinen Brief bekommen?»
«Ja», sagte sie zu ihrem Onkel. «Vielen Dank.»
«Hast du dir was Hübsches davon gekauft?»
«Ja», wiederholte Lena und zupfte das Jackett zurecht.
Hanks zweihundert Dollar wären besser in Lebensmitteln
oder in einer Autoversicherung angelegt gewesen, doch
ausnahmsweise hatte Lena sich etwas gegönnt. Heute war
ein wichtiger Tag. Sie war wieder Cop.
Jetzt klingelte ihr Handy, und sie sah auf dem Display,
dass es Ethan war, der vom Handy aus anrief. Auf dem
Festnetz hing er immer noch in der Warteschleife.
Hank fragte: «Musst du da rangehen?»
«Nein», erklärte sie und drückte
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