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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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hinausmar‐
    schiert, und die Sohlen waren noch so glatt, dass er auf dem polierten Marmor fast ausgerutscht wäre, ihm war
    beinahe das Herz stehen geblieben, doch als er am nächs‐
    ten Tag wie ein Hollywoodstar in der Schule auflief,
    machte das die ausgestandenen Ängste mehr als wett.

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    In Hoss' Stiefeln hatte Jeffrey das Gefühl, zwei Tonnen
    Zement mit sich herumzuschleppen. Zwei Tonnen, die an‐
    derthalb Nummern zu groß waren. Er spürte jetzt schon
    die erste Blase an der Ferse, und in seinen Spann grub sich
    ein Stein oder eine Fischgräte.
    Reggie fuhr genauso langsam wie zuvor und schaffte
    es, eine Ewigkeit hinter einem Traktor herzukriechen. Er
    hatte den Polizeifunk leise gedreht und hörte im Radio
    Country‐Musik. Er lenkte mit einer Hand, mit der ande‐
    ren klopfte er auf der Mittelkonsole den Takt des Hank‐
    Williams‐Songs mit.
    Jeffrey beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, als sie
    die Anhöhe von Herd's Gap hinauf zum Haus von Jessies
    Eltern fuhren. Reggie Ray war durchschnittlich groß und
    schlaksig. Er konnte nicht älter als fünfundzwanzig oder
    sechsundzwanzig sein, doch sein braunes Haar ging an der
    Stirn bereits deutlich zurück. Am Hinterkopf wirkte es
    irgendwie toupiert, und Jeffrey vermutete, dass er sich das
    Haar über eine kahl werdende Stelle bürstete. Bis Mitte
    dreißig hatte Reggie höchstwahrscheinlich eine Glatze.
    Jeffrey fuhr sich durch sein volles Haar, das einzig Gute, das ihm sein Vater vererbt hatte. Selbst mit sechzig hatte Jimmy Tolliver noch die gleichen dichten Locken wie in
    der Highschool gehabt. Noch heute trug er es wie damals: zurückgekämmt, gegelt und mit einer Tolle. In seiner gestreiften Gefängniskluft sah er aus wie ein Statist in einem Elvis‐Film.
    Reggie fragte: «Was gibt es zu grinsen?»
    Jeffrey ertappte sich, wie er bei der Erinnerung an sei‐
    nen Alten tatsächlich lächelte, doch das konnte er Reggie schlecht sagen. Nicht nach dem, was Jimmy Reggies Familie angetan hatte. «Nichts weiter», murmelte er.

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    «Diese Stiefel stinken wie Scheiße», sagte Reggie und
    kurbelte das Fenster herunter. Heiße Luft wehte herein
    wie aus einem Schlot. «Was hast du mit deinen Schuhen
    gemacht?»
    «Ich habe sie Sara gegeben», antwortete Jeffrey ohne
    weitere Erklärung.
    «Scheint ein netter Mensch zu sein.»
    «Ja», sagte Jeffrey, und dann, um Reggie zuvorzukom‐
    men: «Keine Ahnung, was sie mit einem Kerl wie mir will. »
    «Amen», stimmte Reggie zu.
    Sie hatten den Kamm des Hügels erreicht. In der Ferne
    sah Jeffrey ein paar Leute auf dem Golfplatz des Sylacauga
    Country Club herumstehen. Als Junge hatte Jeffrey ab
    und zu als Caddie gejobbt, doch die herablassende Art, wie
    ihn die Reichen behandelten, war ihm bald auf die Nerven gegangen. Außerdem hatte er nie verstanden, was beim
    Golfspielen der Kick war. Wenn er ein paar Stunden an
    der frischen Luft sein wollte, dann ging er lieber Joggen oder benutzte seine Muskeln für etwas Sinnvolleres, als
    in einem albernen Wägelchen einem kleinen weißen Ball
    hinterherzujagen.
    Reggie räusperte sich. Jeffrey ahnte, welche Überwin‐
    dung es ihn kostete zu fragen: «Was ist eigentlich los?»
    «Was meinst du?»
    «Warum will Robert mit dir reden?»
    Jeffrey gab eine ehrliche Antwort, denn er wusste, Reg‐
    gie glaubte ihm ohnehin nicht. «Ich weiß es nicht.»
    «Ach ja?», schnaubte Reggie. «Und warum muss ich
    dich dann rausfahren, statt dass Hoss es selber macht?»
    Das war eine gute Frage. Jeffrey hatte gar nicht darüber nachgedacht, als Hoss sich anbot, Sara in der Höhle zu
    helfen. Normalerweise war das die Art von Aufgabe, die er

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    seinen Hilfssheriffs übertrug. Normalerweise würde Hoss
    mit Jeffrey zu Robert fahren, statt sich durchs Unterholz zu kämpfen. Vielleicht dachte Hoss, er könnte Sara irgendwie von ihrem Vorhaben abbringen. Viel Glück, dachte
    Jeffrey, doch er wusste, Hoss würde scheitern.
    «Slick?», hakte Reggie nach.
    «Bitte nenn mich nicht so», bat Jeffrey – wahrscheinlich
    mit dem Effekt, dass Reggie ihn jetzt bis ans Ende aller Tage so nannte. «Hoss wollte nach Sara sehen.»
    «Hat sie sich verlaufen?»
    «Nein.» Jeffrey konnte es Reggie genauso gut auch jetzt
    erzählen. Der Hilfssheriff würde es früher oder später sowieso erfahren. «Sie hat etwas entdeckt. Wir haben etwas
    entdeckt. Da ist eine Höhle in der Nähe vom Steinbruch –»
    «Die mit den Brettern», sagte Reggie. Als er Jeffreys
    Überraschung bemerkte,

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