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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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«Jemand hat sie umgebracht.»
    «Vielleicht ist sie gestürzt», wiegelte Hoss ab. Er stand kerzengerade da, mit dem Rücken zu Jeffrey. «Hast du daran schon gedacht?»
    Jeffrey sagte: «Dann sollten wir Sara machen lassen.»
    «Vielleicht ist sie es gar nicht», sagte Hoss. Er drehte sich um. Er schien sich wieder gefasst zu haben und
    streckte die Hand nach der Kette aus.
    Als er sie ihm reichte, erklärte Jeffrey: «Sie trug sie immer, jeden Tag. Jeder kannte die Kette.»
    «Yep», stimmte Hoss zu. Er holte sein Taschenmesser
    heraus und öffnete damit das herzförmige Medaillon.
    Dann drehte er den Anhänger um und hielt ihn Jeffrey
    hin. In beiden Seiten klebten grob ausgeschnittene Baby‐
    fotos. Eine blonde Locke, zusammengehalten von einem

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    dünnen Faden, kringelte sich um das Foto auf der linken
    Seite.
    «Zwei Babys», sagte Jeffrey. Ein Foto war farbig, dass
    andere schwarzweiß, doch es war nicht zu übersehen, dass
    das Kind auf der rechten Seite schwarzhaarig war, wäh‐
    rend das linke blonde Haare hatte.
    Hoss drehte den Anhänger um und betrachtete die Fo‐
    tos. Er seufzte tief, dann schloss er das Medaillon wieder und gab es Jeffrey zurück. «Behalt du es bei dir.»
    Widerwillig nahm Jeffrey die Kette an sich und ließ sie
    in seine Hosentasche gleiten.
    Hoss sagte: «Ich habe Reggie gesagt, er soll beim Bestat‐
    tungsinstitut auf dich warten.»
    «Warum?»
    «Du musst mit Robert reden.»
    «Heute Morgen hatte er kein großes Interesse daran.»
    «Jetzt schon», sagte Hoss. «Er hat auf dem Revier ange‐
    rufen und nach dir gefragt.»
    «Sara wartet in der Höhle bei dem Skelett.»
    «Ich werde sie holen.»
    «Bei dieser Sache wird sie nicht lockerlassen», sagte Jeffrey noch einmal.
    «Bei welcher Sache?», fragte Hoss. «Könnte irgendein
    Penner sein, der sich in der Höhle verkrochen hat und ver‐
    gessen hat, wieder rauszukommen. Könnte sein, dass je‐
    mand gestürzt ist und sich den Kopf eingeschlagen hat.
    Könnte alles Mögliche gewesen sein, meinst du nicht?»
    Als Jeffrey schwieg, erinnerte er ihn: «Du hast nichts zu verbergen.»
    Jeffrey sagte nichts. Sie wussten beide, dass es da etwas
    gab. Die Dinge schienen so schnell auf den Abgrund zuzu‐
    rasen, dass Jeffrey kaum mithalten konnte.

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    Hoss klopfte ihm kräftig auf die Schulter. «Hab ich je
    zugelassen, dass dir etwas zustößt, Junge?»
    Jeffrey schüttelte den Kopf, doch die Worte waren alles
    andere als tröstlich. Hoss hatte in der Tat mehr als einmal gegen das Gesetz verstoßen, damit Jeffrey und Robert
    nicht in Schwierigkeiten kamen.
    Hoss erlaubte sich ein Lächeln. «Wird schon.» Dann
    machte er die Tür auf und winkte Reggie herein. Nebenbei
    fragte er: «Was ist mit deinen Schuhen passiert?»
    Jeffrey blickte auf seine nackten Füße. Eigentlich sollte
    er jetzt in Florida sein und barfuß durch den Sand laufen.
    Eigentlich sollte er Sara den Rücken mit Sonnenöl einrei‐
    ben und den Rest ihres Körpers auch, während sie über
    seine Witze lachte und ihn anhimmelte.
    Hoss fragte: «Welche Schuhgröße hast du?»
    «Dreiundvierzig. »
    «Ich hab vierundvierzigeinhalb.» Er fragte Reggie:
    «Welche Schuhgröße hast du?»
    Reggie sah verlegen aus. «Zweiundvierzig.»
    «Dann musst du wohl meine anziehen.» Hoss holte ein
    Schlüsselbund aus der Tasche und drückte ihn Reggie in
    die Hand. «Geh und hol meine Stiefel aus dem Koffer‐
    raum.»

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    KAPITEL FÜNFZEHN

    oss' Stiefel stanken, als wäre er damit durch Fisch‐
    därme
    H gewatet, und beim Anblick der angetrockneten
    Schuppen an den Sohlen schätzte Jeffrey, dass er genau das
    getan hatte. Die Lederstiefel mit den Stahlkappen waren
    nicht nur unerträglich heiß, sondern auch bleischwer. Jef‐
    frey konnte sie auf den ersten Blick nicht ausstehen. Lieber
    wäre er barfuß gegangen, wenn es möglich gewesen wäre.
    Als Kind musste Jeffrey immer die abgetragenen Schu‐
    he und Kleider anziehen, die seine Mutter billig auf dem Flohmarkt der Baptistengemeinde kaufte. Er hasste es, anderer Leute Sachen aufzutragen, und als er alt genug war, ließ er das eine und andere Stück im Warenhaus Belk in
    Opelika mitgehen. In der Schuhabteilung war manchmal
    so viel los gewesen, dass die Verkäufer den Überblick verloren, und sein erstes Paar Schuhe, das ihm passte, war
    die Beute eines seiner verwegensten Diebstähle gewesen:
    Frech wie Oskar war er mit nagelneuen Fünfzehn‐Dollar‐
    Schuhen an den Füßen aus dem Kaufhaus

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