Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
ein Glas in der Hand, und an der Farbe des
    Getränks und dem Klirren der Eiswürfel erriet Jeffrey, dass
    sie Scotch trank.
    Reggie kam zu demselben Ergebnis. Demonstrativ sah
    er auf die Uhr. «Kurz nach Mittag.»
    Jeffrey wollte Jessie in Schutz nehmen, doch dann ließ
    er es bleiben.
    «Hey, Jungs», sagte Jessie. Für eine Alkoholikerin hatte
    sie sich gut im Griff. Nie lallte oder torkelte sie. Doch hinter Jessies makelloser Haut und ihrer perfekten Figur verbarg sich eine verbitterte Frau, die alles schwarz sah, und der Alkohol förderte diese Gehässigkeit zutage.
    Jeffrey fragte: «Ist Robert da?»
    «Wo soll er sonst sein?», sagte Jessie und öffnete die
    Fliegentür. Sie trat einen Schritt zur Seite, doch sie stand immer noch im Weg, sodass ihre Körper sich streiften, als Jeffrey eintrat. Reggie wurde diese Behandlung nicht vergönnt. «Ihr könnt im Salon warten. Ich hole Robert.»
    Jeffrey sah ihr nach. Jessie stakste auf verboten hohen
    Stöckelschuhen davon. Dass sie auf diesen Dingern mit
    ihrem Promillepegel gehen konnte, widersprach allen Ge‐
    setzen der Physik.
    Reggie räusperte sich. Natürlich hatte er Jeffreys Blick
    missverstanden. Schulmeisterlich verschränkte er die Ar‐
    me vor der Brust. «Sie ist die Frau deines besten Freundes. »
    Jeffrey ignorierte ihn und betrat den Salon. Auch hier
    hatte sich nichts verändert. Zwei lange Sofas, mit wein‐

    248
    rot und weiß gestreifter Seide bezogen, standen einander
    gegenüber, dazwischen ein schwindsüchtiger Couchtisch.
    Rechts und links des großen Fensters zur Straße waren
    zwei Ohrensessel arrangiert. Auf der anderen Seite befand
    sich ein mächtiger Kamin, in dem man einen Menschen
    hätte rösten können. Die Möbel wirkten so zierlich, als
    würden sie bei einem Niesen umfallen, doch Jeffrey ließ
    sich nicht täuschen. Er ließ sich in eins der Sofas fallen, während Reggie an der Tür stehen blieb, immer noch mit
    dem gleichen abfälligen Blick.
    Jeffrey starrte den weißen Teppich an, der aussah, als
    würde er mehrmals am Tag gesaugt. Er sah die Fußabdrü‐
    cke, die er auf dem Weg zum Sofa hinterlassen hatte, und überlegte, ob der Geruch, der in der Luft hing, vom toten Fisch an Hoss' Stiefeln oder von dem Duftpotpourri auf
    dem Couchtisch kam. Dann dachte er wieder an Sara. Er
    fragte sich, was sie in diesem Moment tat. Er wäre jetzt gerne bei ihr gewesen. Jeffrey wollte nicht, dass sie ihn für einen Verbrecher hielt. Wenn es in seiner Macht gestanden hätte, er hätte mit den Fingern geschnippt, und
    sie wären plötzlich woanders, irgendwo, Hauptsache, weit
    weg von hier.
    Reggie fragte: «Hattest du etwa auch was mit der Mut‐
    ter?»
    «Was?» Jeffrey merkte erst jetzt, dass sein Blick nach
    draußen geschweift war, wo Faith Clemmons ihre Azaleen
    wässerte. «Mein Gott, Reggie. Hör endlich auf damit, ja?»
    Reggie verschränkte die Arme vor der Brust. «Oder
    was?»
    Von der Treppe waren Schritte zu hören, die langsam
    näher kamen. Roberts Eintreten nahm Jeffrey den Wind
    aus den Segeln. Wenn er heute Morgen schon mitgenom‐

    249
    men ausgesehen hatte, wirkte er jetzt, als wäre er unter einen Laster gekommen. Er ließ die Schultern hängen und
    hielt sich die Wunde am Bauch.
    Jeffrey stand auf, doch er wusste nicht, was er sagen
    sollte. «Setz dich doch», sagte er schließlich.
    «Ich stehe ganz gern», gab Robert zurück. «Reggie,
    würdest du uns bitte kurz allein lassen?»
    «Kein Problem», sagte Reggie wachsam. Er tippte sich
    an die Mütze, dann ging er hinaus.
    Robert wartete, bis das Fliegengitter ins Schloss fiel,
    dann sagte er: «Ihr habt ihre Leiche in der Höhle gefunden.»
    Roberts Bestimmtheit überraschte Jeffrey. Es war keine
    Frage, es war eine Feststellung. Sie hatten ihre Leiche gefunden.
    «Hoss hat mich angerufen», erklärte Robert und ließ
    sich vorsichtig in einen Sessel sinken. «Er meint, es wäre irgendein Penner oder so was – soll hingefallen sein und sich den Schädel aufgeschlagen haben. Aber wir wissen
    beide, dass es Julia Kendall ist.»
    Trotz Klimaanlage brach Jeffrey der Schweiß aus. Er
    suchte in der Hosentasche nach der Kette mit dem herzför‐
    migen Medaillon. «Das habe ich unter dem Felsvorsprung
    gefunden.»
    Robert nahm Jeffrey die Kette aus der Hand. Mit dem
    Daumennagel öffnete er das Medaillon und sah sich die
    Fotos an. «Himmel. Julia.»
    Jeffrey sah aus dem Fenster. Faith hatte das Wasser ab‐
    gedreht und sprach mit Reggie. Wahrscheinlich

Weitere Kostenlose Bücher