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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch, beseelt von meinem Willen …
»Jetzt erkenne ich dich«, sagte Tarnac langsam. »Ashnada, die Tochter des Solcyr!« Er schien weder überrascht noch betroffen. »Deine Augen habe ich nicht vergessen.«
    »Meine Augen …« Sie spürte wieder das Aufglühen des Knochenstücks, doch es fachte ihren Zorn nicht mehr an, schürte nur ihre Verzweiflung. »Und außer ihnen nichts, königlicher Bruder? Gar nichts?« Er nahm wieder die Karaffe zur Hand und trank bedächtig. Dann sagte er: »Du warst die jüngste Igrydes, und tüchtig dazu. Ich habe dich zur Anführerin der Gnadenlosen erhoben, die unser Anliegen in Morthyl vertreten sollten …«
    »Ein Anliegen, das unser königlicher Bruder selbst verriet, als er uns an das Kaiserreich auslieferte.« Ashnadas Stimme bebte. »Sechs Jahre lang haben wir auf Morthyl für dich gekämpft. Wir haben gemordet, so oft … es waren Kinder darunter, Greise und Frauen. Für dich! Wir taten es für dich!« Die Spitze ihres Schwerts näherte sich Tarnacs Hals, doch ihre Hand zitterte. »Warum hast du uns an Fürst Perjan verraten? Warum mußten wir sterben, wir, deine Brüder und Schwestern? So hast du uns doch genannt, als du …«
    »Für wen hältst du dich?«In Tarnacs Stimme schwang ein gefährlicher Unterton mit. »Soll ich vor dir Rechenschaft ablegen?« Er warf die Karaffe zu Boden; sie zerschellte in tausend Stücke. »Dein Auftrag war es, das Volk von Morthyl in Panik zu versetzen, in stetiger Angst zu halten, bis ich eine Einigung mit den Sitharern erzielen konnte. Diese Einigung kam - und es war nur recht und billig, daß der Fürst von Morthyl als Ausgleich eure Köpfe forderte. Es war ein notwendiges Opfer, für Gyr, deine Heimat. Wie konntest du so vermessen sein, Schwester, ein solch geringes Opfer nicht leisten zu wollen?«
    Sie wollte widersprechen, doch sein verachtender Blick nahm ihr die Kraft. Und der König war noch nicht fertig mit seiner Rede.
    »Hast du nichts begriffen in der Zeit deiner Ausbildung? Wir dienen alle unserem Land, jeder nach seinen Möglichkeiten. Könnte ich Gyr vor den Goldei retten, indem ich mich selbst in ein Schwert stürzte - keinen Augenblick würde ich zögern! Du aber wagst es, dich über dein Schicksal zu beklagen ! Die anderen Igrydes haben auf Morthyl ihr Leben geopfert; du hingegen stehst hier und schämst dich nicht einmal.« Er hob die Hand, als wollte er Ashnada eine Ohrfeige versetzen. »Wie konnte das geschehen? Sprich!« Sie erbleichte. »Ich … ich wurde von einem Priester verschont. Bars Balicor … er machte mich zu seiner Leibwächterin.«
    »Du hast einem
Priester
gedient? Einem Tathril-Anhänger?« Tarnac schüttelte angewidert den Kopf. »Wie tief bist du gesunken, Schwester! Du beschmutzt das Ansehen deiner Familie. Dein Vater hätte sich aus Scham erdolcht, wenn er davon erfahren hätte. Er fiel im Kampf gegen die Goldei, und bis zuletzt dachte er voller Stolz an seine Tochter zurück, die in Morthyl für unsere Sache starb.« Tarnac hielt inne. Dann wurde sein Blick plötzlich milde, seine Stimme weicher. »Ich erkenne meinen Fehler. Du warst zu jung; ich hätte die Aufgabe einem reiferen Gnadenlosen anvertrauen sollen. Ja, es war dumm von mir.« Er streckte die Hand aus und legte sie auf Ashnadas Wange, eine sanfte Berührung. »Du hättest damals sterben sollen, Schwester - so war es vorgesehen. Doch die Götter hatten anderes mit dir im Sinn. Wer bin ich, daß ich ihre Entscheidungen anzweifeln kann?« Ashnada senkte die Augen. Spürte, wie Tarnac sie streichelte; seine Finger glitten über ihre Wange, ihre Schulter. Sie ließ das Schwert sinken. Atmete tief ein.
Denke nicht nach, nicht nach …
»Blut von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch«, hörte sie Tarnac wispern. »Das bist du noch immer, meine Schwester.« Seine Finger wanderten an ihrem linken Arm entlang, bis zum Handgelenk. »Was hast du da? Willst du es mir nicht zeigen?«
    Sie spürte, wie er ihre Faust öffnete und das Knochenstück an sich nahm. Es war eine große Erleichterung für sie; ihr schien, als hätte Tarnac all den Zorn, den Haß, den Schmerz von ihr genommen. Sie schloß die Augen; eine Träne rann an ihrer Wange herab. Er wischte sie fort.
    »Ein Knochen also … und dieses Zeichen hier - eine verblühende Rose.« Tarnac betrachtete den unscheinbaren Gegenstand, auf dem Blutspritzer klebten. »Ich kenne das Symbol. Der Gründer der Bathaquar, Bathos der Scharfzüngige, unterzeichnete

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