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Schattenbruch

Schattenbruch

Titel: Schattenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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im Untergrund Eisenketten über schartige Zahnräder.
    Und dort - ein Licht! Ein Glühen inmitten der Massen, rot pulsierend. Ein junger Mann schritt über den Platz, die Arme verschränkt, als fröstelte es ihn. Er erreichte die Treppe des Doms und stieg die ersten Stufen empor; sein Körper war mit Verbänden umwickelt, ölgetränkte Lappen - oder war es Blut, das aus dem Mull tropfte? An einigen Stellen waren die Binden verrutscht und zeigten rotglimmende Haut.
    »Wer bist du?« Ein Gildenkrieger hastete die Stufen herab; das Schwert in seiner Hand zuckte. »Bleib stehen!« Der Blick des Fremden traf ihn: feuerrote Augen, in denen Flammen tanzten. »Laß mich durch. Ich muß in den Dom gelangen, in das Verlies.«
    »Ich sage es nur einmal - bleib stehen!« Der Troublinier wich vor dem Fremden zurück. »Komm nicht näher, sonst schmeckst du meine Klinge.«
    »Geh zur Seite!« wiederholte der Mann mit fester Stimme. Hinter ihm hatten sich die Menschen beruhigt; sie beobachteten das Geschehen auf der Treppe, trotz des anhaltenden Rasseins, das lauter und bösartiger wurde. »Hörst du nicht den Ruf des Verlieses? Es wird die Stadt übernehmen, und diese Schatten sind nur ein Vorgeschmack seiner Macht. Zurück jetzt, du Narr.«
    Ein Ruf erschallte aus der Menge. »Nhordukael! Es ist Nhordukael … Tathril hat uns den Auserkorenen geschickt!« Der Name wurde von den Umherstehenden aufgegriffen. Die gesamte Menge fiel in den Chor ein, »NHORDUKAEL! NHORDUKAEL!«
    Der Gildenkrieger zögerte; er sah sich nach seinen Gefährten um, die mit gezogenen Schwertern zu ihm herabeilten.
    »Dann bist du der falsche Hohepriester«, stieß er hervor, »der Ketzer, vor dem uns die Priester warnten.« Er hob das Schwert. »Du hättest nicht nach Vara kommen sollen.«
    Nhordukael richtete sich zu voller Größe auf. Funken sprühten aus seinen Augen; die Verbände glitten von seinen Armen, entblößten die glühenden Adern unter der Haut. Unter ihm bebte die Treppe; das Gestein begann zu dampfen, wurde flüssig, schmolz in Windeseile. Der Gildenkrieger verlor den Halt; er kreischte auf, als sein Kopf die heißen Stufen traf, sich seine Gesichtshaut wie brennendes Papier von den Knochen schälte. Die Treppe zerrann wie heißes Wachs; und die Gardisten ließen ihre Waffen fallen, versuchten sich mit einem Satz über die Steinbrüstung zu retten. Nicht allen gelang der Sprung in die Tiefe.
    Nhordukael aber stieg auf den fließenden Stufen zum Eingangsportal des Doms empor. Die Menschen jubelten ihm zu, fasziniert von der Macht, die der Auserkorene ihnen vor Augen führte. Sie ahnten nicht, wie schwer es Nhordukael gefallen war, die Glut des Brennenden Berges zu beschwören, vorbei an den Sphärenströmen der Quelle von Vara, dem Verlies der Schriften. Jeder weitere Zauber konnte zu einer Entladung der Inneren Schicht führen und Nhordukael zerreißen.
    Als er die letzte Stufe erklommen hatte, wandte er sich nach dem Volk um. »Das Verlies ist entfesselt!« Seine Stimme hallte über den Platz, ließ die Jubelnden verstummen. »Ich werde versuchen, es aufzuhalten, doch ob es mir gelingt, kann ich nicht versprechen. Kehrt in eure Häuser zurück und verhaltet euch ruhig. Eine Flucht oder Panik wird nur den Zorn der Quelle heraufbeschwören.«
    Sie schienen seine Worte nicht zu begreifen, begannen wieder, seinen Namen zu rufen. »Nhordukael!« schrie einer aus der Menge. »Bitte Tathril, uns zu verschonen … uns zu retten …«
    »Hört auf damit, diesen Gott anzubeten! Tathril kann euch nicht retten.« Nhordukael wies auf die Schatten, die wie Türme rings um den Platz aufragten, den Himmel verfinsterten, höher und höher wuchsen. »Jeder von uns trägt eine Mitschuld an dem Untergang; wir haben es zugelassen, daß die Quellen in Gefangenschaft gehalten wurden und das Gleichgewicht der Sphäre zerstört wurde. Nun müssen wir alle die Folgen tragen.« Er kehrte ihnen den Rücken zu. Violette Flammen huschten über das Portal des Doms; die kostbaren Silberfresken schmolzen, das Metall perlte in Schlieren herab. Nhordukael wischte sie beiseite wie einen Vorhang. Unter dem Aufschrei der Menge trat er durch die brennende Tür in den Dom.
    Ob sie begriffen haben, was ich ihnen sagte? Werden sie sich endlich von Tathril lossagen, dieser bequemen Selbsttäuschung, durch die der Mensch alle Verantwortung an die Priester und Zauberer abgibt?
Nhordukael wußte es nicht; das Lärmen der Menge deutete er eher als ein Zeichen fortwährender

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