Schattenbruch
Verblendung.
Anstatt das
Joch der Sphäre abzuschütteln, warten sie lieber auf einen Heilsbringer … dies ist der Acker, auf dem Mondschlund und Sternengänger ihre Saat ausstreuen konnten, bis zum heutigen Tag.
Er durchquerte die Vorhalle; dabei zitterte er am ganzen Leib.
So kalt …es ist so kalt.
Sein Blick war auf den Kerzenschein gerichtet, der aus der Haupthalle drang. Er wurde von Wänden reflektiert, denn diese waren mit Silber ausgeschlagen: ein Glanz, der eine ehrfurchtgebietende Stimmung schuf.
Als Nhordukael die Halle betrat, bemerkte er sofort die im Gebet vertieften Tathril-Priester; an der Haarfarbe erkannte er ihre troublinische Herkunft. Sie knieten vor einem Marmorsockel in der Mitte der Halle. Auf diesem ruhte ein silbernes Gefäß.
Der Kelch des heiligen Lysron … Magro Fargh hat mir oft von ihm erzählt. Angeblich trank Lysron stets einen Schluck Wein aus dem Kelch, bevor er in das Verlies der Schriften hinabstieg.
Die Priester sprangen auf und starrten Nhordukael an.
Seine Verbände hatten sich vollständig gelöst, hingen in brennenden Fetzen von den Gliedern und brannten. Am schrecklichsten aber waren seine Augen; keiner der Priester konnte dem glühenden Blick standhalten. »Ihr wißt, wer ich bin und was ich will«, sagte Nhordukael, während er sich ihnen näherte. »Und auch mir sind eure Absichten bekannt. Ihr seid die Anhänger der Bathaquar - die Verbündeten Bars Balicors, der euch nach Vara holte, um die Quelle zu bezwingen. Wo ist er, der falsche Hohepriester?«
Die Bathaquari hatten sich wieder gefaßt. »Wo soll er schon sein?« höhnte es aus der Priesterschar. »Er ist in die Katakomben herabgestiegen, um dich und deine Brut auszulöschen ! Offenbar hat er geschafft, dich nach Vara zu locken.«
»Ja, das hat er … doch es ist sein letzter Triumph. Ich werde Balicors übles Spiel ein für allemal beenden.« Flammen tanzten auf Nhordukaels Fingerspitzen. »Haß und Selbstsucht - dies ist alles, was eure Sekte lehrt. Balicor hat sich von der Bathaquar verführen lassen, um seine Machtgier zu befriedigen. Ihr wollt den Wandel der Sphäre für eure Ziele nutzen.«
»Wir werden die Welt vor Schlimmerem bewahren!« Ein glatzköpfiger Priester deutete voller Abscheu auf Nhordukael. »Sieh dich doch an! Wenn wir die Sphäre nicht mit einem neuen Bann belegen, werden bald alle Menschen die Folgen der entfesselten Magie spüren - so wie du! Die Quelle des Brennenden Berges hat deinen Körper entstellt, deinen Verstand vernebelt. Wenn Balicor dich zur Strecke bringt, wird dies ein Akt der Gnade sein.«
Nhordukael hatte genug von dieser Unterhaltung. Er trat an den Sockel und riß den Kelch des heiligen Lysron an sich. »Rechnet nicht zu bald mit meinem Tod.« Flammen schlugen vor ihm aus den Ritzen der Steinplatten, und die Priester wichen zurück.
»Frevler!« schrie der Glatzkopf. »Wie kannst du es wagen, Tathrils Haus zu schänden? Laß den heiligen Kelch an seinem Platz!«
»Ich werde ihn gewiß nicht in euren Klauen lassen.« Nhordukael betrachtete das Gefäß; es war alt, sein silberner Fuß schwarz angelaufen und der Rand brüchig. Innen war das Silber mit einer Schicht bedeckt, einer Art Grünspan. »Ich werde euren Hohenpriester seiner gerechten Strafe zuführen. Die Stunde der Entscheidung naht.« Er blickte zur Apsis des Doms. Hinter dem Altar erhob sich eine weiße Säule; um diese schraubte sich eine Wendeltreppe bis zur Decke: der Aufstieg zum Hauptturm. Doch hinter der Säule war eine andere Treppe zu erkennen. Sie führte in die Tiefe, in die Finsternis.
Der Weg ins Verlies …es ist alles genau so, wie es in den Kirchenbüchern geschrieben stand.
Ohne sich weiter um die Priester zu kümmern, näherte er sich dem Abstieg. Unten war eine Tür zu sehen; während er sie betrachtete, öffnete sie sich wie von Geisterhand. Kalter Wind pfiff aus dem Gang, der hinter ihr lag. Und Magie … ja, Nhordukael spürte den Atem der Quelle, die machtvollen Ströme des Verlieses.
Dort unten kann mir das Auge der Glut nicht mehr beistehen. Diesen Kampf muß ich allein ausfechten.
Er umfaßte den Kelch, atmete tief ein und stieg die Stufen hinab. Die Bathaquari verfolgten ihn mit finstren Blicken, in denen sich Wut und Anerkennung über die Kühnheit des Auserkorenen mischten. Doch keiner von ihnen wagte es, ihm zu folgen, sie lauschten nur, wie sich seine Schritte in den Gängen des Verlieses verloren, und waren erleichtert, das Zusammentreffen mit Nhordukael überlebt zu
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