Schattenbrut (German Edition)
mit kleinen Fenstern und einem bemoosten Dach.
In dem engen Empfangsbereich saß eine freundlich aussehende Dame hinter einer Scheibe.
»Ich bin mit Hauptkommissar Eggert und Kommissarin Wenberg verabredet«, erklärte Billy.
»Einen Moment bitte.« Die Dame führte ein kurzes Telefonat und bedeutete ihr, zu warten.
Es dauerte keine Minute, bis die Kommissarin erschien und ihr die Hand gab. Sie trug einen grauen Blazer über einem weißen Rollkragenpullover und roch wie ein frisch geernteter Pfirsich.
»Kommen Sie mit«, bat Wenberg und Billy folgte ihr in den zweiten Stock. Wenberg führte sie in einen kleinen Büroraum und bat sie, an einem L-förmigen Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Wie geht es Ihnen, Frau Thalheimer?« Sie setzte sich gegenüber.
Billy verschränkte ihre Hände ineinander. »Ich frage mich seit gestern Abend, ob Clarissa Puhlmann einem Raubüberfall zum Opfer gefallen ist oder ...«
»Einem Mord?«
»Ja.«
»In ihrem Auto lag der Geldbeutel mit 135 Euro in bar, und auch sonst konnten wir nicht feststellen, dass etwas fehlte.«
»Oh Gott«, presste Billy hervor. »Und sie wurde wirklich erdrosselt?« Sie wollte die Antwort nicht hören, aber sie musste es dennoch wissen.
»Ja. Wahrscheinlich mit einem Draht.«
Billy fühlte sich eine Sekunde lang wie erstarrt. Ein Bild von Clarissa schoss ihr in den Kopf, ihr hübsches Gesicht blau angelaufen und geschwollen, rote Striemen um den Hals. Sie würgte. Mit einem Satz sprang sie vom Stuhl auf und rannte aus dem Raum, lief durch den langen Flur, bis sie das Toilettenzeichen an einer Tür entdeckte. Mit letzter Kraft übergab sie sich in eine Kloschüssel und fiel erschöpft auf die Knie. Sie wollte verstehen, aber es gelang ihr nicht. Warum Clarissa? Reglos blieb sie auf den Knien. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie fähig war, aufzustehen und die Spülung zu drücken. Im Vorraum spülte sie sich den Mund aus und ließ kaltes Wasser über ihre Handgelenke fließen.
Wehberg saß noch auf ihrem Stuhl, als Billy mit einer kurzen Entschuldigung das Zimmer betrat und sich setzte.
»Sind Sie in der Lage, darüber zu sprechen?«
»Natürlich.«
»Erzählen Sie mir etwas von Clarissa Puhlmann.«
»Da gibt es nicht viel. Ich bin vor fast genau zwanzig Jahren aus Bad Bergzabern weggezogen. Bis dahin waren wir die besten Freundinnen. Danach habe ich sie bis letzten Dienstag nicht mehr gesehen. Mir ist aufgefallen, dass sie toll aussah. Glücklich. Sie hat mir erzählt, dass sie als Tauchlehrerin arbeitet und verheiratet sei. Und gestern hat sie mich im Büro angerufen und gefragt, ob sie mich am Abend sehen könnte. Mehr kann ich nicht sagen.«
Die Kommissarin machte sich einige Notizen auf ein Blatt.
»Wie hat Frau Puhlmann bei dem Telefonat gewirkt?«
»Normal. Vielleicht etwas nervös. Sie hat nicht gesagt, warum sie mich sehen wollte.«
»Und Sie haben nicht nachgefragt?«
»Nein. Ich hatte andere Dinge im Kopf. Und ich habe mich einfach darauf gefreut, sie wiederzusehen.«
»Schien Frau Puhlmann verängstigt?«
»Wie gesagt, vielleicht ein wenig nervös. Aber nicht verängstigt.« Sie überlegte. »Es ist schwer, so etwas am Telefon zu erkennen.«
»Das verstehe ich.« Wenberg drehte geschickt einen Kugelschreiber zwischen ihren Fingern. »Und gestern, als sie lange nach der verabredeten Zeit nicht erschien, haben Sie da versucht, sie anzurufen?«
»Nein. Ich habe mich zwar gewundert, aber da ich ihre Nummer nicht habe ...« Billy wusste, wie dumm ihre Worte klangen. Natürlich hätte sie im Telefonbuch nachsehen können, und das hätte sie sicherlich auch getan, wenn nicht plötzlich Oren vor der Tür gestanden wäre. Aber das wollte sie der Kommissarin gegenüber nicht erwähnen.
»Als wir kamen, da wollten Sie ins Bett«, stellte Wenberg fest.
»Ich dachte, ihr sei etwas dazwischengekommen. Ich war müde, und da habe ich mich hingelegt.« Sie rieb mit ihrem Daumen über den rauen Stoff ihrer Hose.
Wenberg lächelte ihr beruhigend zu und legte den Stift vor sich. »Warum brach ihr Kontakt damals ab, obwohl Sie so gut befreundet waren?
Billy lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und überlegte. Sie würden die Wahrheit leicht herausfinden, also war es besser, offen zu reden. »Kurz bevor meine Mutter und ich von Bad Bergzabern wegzogen, wurde ich schwanger. Ich dachte darüber nach, das Baby abzutreiben, aber ich konnte es nicht. Also entschloss ich mich, es zur Adoption freizugeben. Das erste Jahr in Emmendingen zog ich mich
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