Schattenbrut (German Edition)
Motor an und wartete, bis Oren seinen VW auf die Straße gefahren hatte. Dann legte sie den Gang ein und gab vorsichtig Gas.
Es tat gut, einen Moment lang alleine zu sein. So sehr sie Orens Gegenwart berührte, so sehr musste sie auch über alles nachdenken. Paula, Clarissa, Oren. Die Ereignisse überschlugen sich und sie hatte das Gefühl, dass sie nur noch reagieren konnte, statt wirklich zu begreifen, was gerade geschah. Clarissa war tot und sie war wütend, dass sie den Beamten gestern Abend nicht ein paar Fragen gestellt hatte. Mord, das konnte viel heißen. Und was hatte die Kommissarin sagen wollen, als ihr Kollege sie am Weiterreden gehindert hatte? Billy war nach Heulen zumute, doch Oren brauchte sie jetzt.
Die Fahrt nach Freiamt dauerte keine viertel Stunde und es war zehn Minuten nach acht Uhr, als sie in den Schotterweg einbog, der zu dem Haus ihrer Mutter führte. Früher, als sie noch hier gelebt hatte, hatte sie der angrenzende Wald und die einsame Lage beklemmt, doch mittlerweile liebte sie das alte Haus. Eine schulzimmergroße Terrasse, die von einer brusthohen Betonmauer umgeben war, lag vor der Haustür, und jeder Besucher musste zuerst die Veranda durchqueren, bevor er an der Tür klopfen konnte. Oren parkte neben ihr. Seine Schultern waren hochgezogen, als er hinter Billy die Terrasse betrat. Es roch herrlich nach frisch gebackenem Kuchen.
»Hast du ihr erzählt, dass wir uns kennengelernt haben?«, flüsterte er.
»Nein.« Sie lachte leise und sah ihn an. »Bereit?«
Er nickte und sie klopfte.
Als sich die Tür öffnete, wurde der Geruch nach Kuchen überwältigend. Ursula trug eine weiße Schürze über einem Schlafanzug und ihre dunklen, kurzen Haare waren zerzaust, doch selbst in diesem Aufzug sah sie elegant aus. Ein Strahlen erhellte ihr Gesicht und sie wischte sich die mehligen Hände an der Schürze ab, als sie Billy sah.
Billy küsste sie auf die Wange und zog Oren zu sich heran. »Ursula, das ist Oren.«
Ursula lächelte und gab dem fremden Mann die Hand. »Kommt rein«, sagte sie dann und ging voraus in den Flur. Billy schloss die Tür und sah unbehaglich zwischen den beiden hin und her. Die angenehme Wärme zeugte davon, dass Ursula bereits Feuer im Kamin gemacht hatte.
»Erschrecke jetzt nicht«, begann sie. »Oren stand vorgestern plötzlich in der Kanzlei. Und zufällig kamen wir drauf ...« Sie stockte und ihre Mutter neigte fragend den Kopf. Billy verkeilte ihre Hände. »Er ist mein Sohn. Dein Enkel.«
An Ursulas Gesicht sah man, dass sie einen Moment brauchte, um das Gehörte zu begreifen. Zuerst blinzelte sie, dann wanderten ihre Augen zu Oren, während ihr Unterkiefer herabsackte. Langsam schüttelte sie den Kopf und sah Billy an. »Wenn das ein Scherz sein soll ...«
»Es ist kein Scherz. Und nun setzt dich lieber. Du siehst fahl aus.«
Ursula ignorierte ihre Worte und ging zwei kleine Schritte auf Oren zu. Sie streckte beide Hände nach ihm aus, mit einem verlegenen Lächeln ergriff er sie.
»Bist du es wirklich?«, fragte sie.
»Ich glaube ja«, gab er zurück. Einen Moment lang schien Ursula zu überlegen, ob sie den jungen Mann in die Arme schließen durfte. Billy war froh, dass sie es nicht tat, denn Oren sah erleichtert aus, als Ursula ihn mit einem fassungslosen Stöhnen losließ und auf das Wohnzimmer zeigte. »Geht rein. Setzt euch.« Sie fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Billy, holst du uns einen Kaffee? Ich bin gerade zu verwirrt.«
Eine Stunde später fuhr Billy über die kurvenreiche Waldstraße hinab nach Emmendingen. Nachdem Ursula den ersten Schreck überwunden hatte, war sie regelrecht aufgeblüht, hatte Oren und ihr ein zweites Frühstück aus Eiern und Toast bereitet und währenddessen Oren mit Fragen gelöchert. Billy hatte den Eindruck gehabt, dass er sich dabei wohlfühlte, und hatte sich schließlich verabschiedet mit dem sicheren Gefühl, dass die beiden eine schöne Zeit miteinander verbringen würden, bis sie wieder zurückkam.
Die örtliche Kriminalpolizei befand sich nicht im Hauptrevier, sondern am anderen Ende des Stadtkerns. Eine Gegend, von der man vermuten könnte, dass die Kripo hier einiges zu tun habe. Ein dreistöckiges Asylantenheim war das gepflegteste Gebäude in dieser Ecke, ansonsten prägten alte Fassaden und schmutzige Fenster das Bild.
Billy bog in einen weitläufigen Kieshof ein und parkte unter einem fast zehn Meter hohen Nadelbaum. Das Gebäude der Kripo war eine altmodische Villa aus den Fünfzigern
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