Schattenbrut (German Edition)
an?«, schaltete sich Ursula ein.
»Was los ist? Ich musste schon wieder zur Polizei. Außerdem ...« Sie dachte an Oren. Ursula sollte nichts davon wissen. »Außerdem habe ich keine Zeit für Besuche.«
»Ich wollte nicht stören«, sagte Tamy und machte Anstalten, sich zu erheben, doch Ursula hielt sie mit einer schroffen Armbewegung auf.
»Setz dich!«, sagte sie zu Billy.
Billy ließ sich auf einen Stuhl fallen, während sie scharfe Blicke in die Richtung ihrer Mutter schoss. Tamy sah aus, als würde sie gleich anfangen, zu heulen.
»Warum bist du überhaupt schon da?«, fragte Ursula betont fröhlich.
»Ich habe mir ein paar Tage freigenommen«, gab sie knapp zurück und sah wieder zu Tamy. »Worüber wolltest du mit mir sprechen?«
Tamy zog die Schultern hoch. »Ich habe mit Julias Mutter gesprochen. Julias Tod war zweifellos ein Unfall.«
»Und dafür kommst du hierher?«
»Man hat mich gestern angerufen und hier auf das Polizeirevier bestellt. Ich war also ohnehin in der Gegend.« Tamys Stimme hatte abermals diesen jammernden Ton, der Billy verrückt machte. Doch gleichzeitig war ihr klar, dass dies alles nur wegen ihr geschah.
»Es ist okay. Ursula hat bestimmt nichts dagegen, wenn du ein paar Tage bleibst.«
Hatte sie das wirklich gesagt?
Ursula bedachte sie mit einem Blick, der besagte, wie stolz sie auf sie war, und Billy biss ärgerlich auf ihre Unterlippe.
»Das ist eine gute Idee, Tamara. Bleib hier, solange du willst.«
Tamy lächelte dankbar. Dann wandte sie sich an Billy. »Ich habe das mit deinem Sohn gehört.« Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich habe nie geahnt, dass du damals schwanger warst. Aber ich freue mich so für dich, dass du ihn getroffen hast.«
Sie hätte ihre Mutter umbringen können. »Niemand darf von Oren wissen«, sagte sie hart und fing Ursulas erstaunten Blick auf. Es half alles nichts. In kurzen Sätzen erzählte sie von Orens Bitte, mit niemandem über ihn zu sprechen, und Eggerts Frage.
Ursula wurde blass. »Er hat etwas mit dem Mord zu tun?«
»Das glaube ich nicht«, gab Billy eine Spur zu laut zurück. »Er hat mir erzählt, dass er Ärger mit jemandem hatte, der Drogen nimmt. Wahrscheinlich hat er deshalb Angst vor der Polizei.«
»Du musst ihm helfen.« Ursula schlug mit der Hand auf den Tisch.
»Das werde ich«, fauchte Billy. »Sobald ich ihn erreiche. Aber ich will nur, dass ihr eure Klappe haltet. Bitte!« Sie ließ ihre Augen von Ursula zu Tamy wandern, deren Unterlippe zitterte.
»Kann ich mich auf euch verlassen?«
Die Frauen versprachen es und Billy lehnte sich erschöpft zurück.
»Ich habe übrigens den Film entwickeln lassen«, sagte Tamy leise.
»Welchen Film?« Billy begriff nicht.
»Den von Frank. Du weißt schon.«
Billy hatte den Film völlig vergessen. »Und?«
»Er war leer.«
»Wie kann das sein?«
»Zuerst habe ich es auch nicht verstanden, doch ich glaube mittlerweile, dass Clarissa ihn damals heimlich vertauscht hat«, erklärte Tamy und ihre Wangen wurden rot. »Sie wollte uns davon abhalten, Frank zu blamieren.«
»Das passt zu Clarissa.« Billy starrte grimmig aus dem Fenster. »Wahrscheinlich hatte sie den Film all die Jahre in ihrer Schublade. Und irgendetwas hat sie dazu veranlasst, ihn entwickeln zu lassen.«
»Oder irgendjemand«, schlussfolgerte Tamy.
Billy dachte an Paula. Immer wieder Paula. Sie konnte den morgigen Tag kaum erwarten. Dienstag. Paulas heiliger Wellnesstag. Doch sie wollte sich auf keine weitere Diskussion mit Tamy einlassen. »Mein Kopf platzt bald. Wie wäre es, wenn wir für heute einfach mal das Thema beiseiteschieben, die Polizei ihre Arbeit machen lassen und über etwas anderes sprechen?«
24.
In der Nacht war der Regen lautstark an ihr Dachfenster gedonnert und tiefe, braune Pfützen kräuselten sich in der Einfahrt vor Ursulas Haus. Als sie vor zwanzig Jahren hierher gezogen waren, war Ursula entschlossen gewesen, die Einfahrt pflastern zu lassen, aber zuerst hatte das Geld gefehlt, und irgendwann hatten sie sich schlicht an den Schotter gewöhnt. Einzig an extrem nassen Tagen wie heute verfluchte Billy die vielen Löcher im Boden, die man noch so oft mit Kies füllen konnte, jeder starke Guss legte sie wieder frei.
Mit vorsichtigen Schritten stakste sie um die Pfützen herum und stieg in ihren Wagen. Die Wolken hatten sich verzogen, in der hereinbrechenden Dämmerung sah sie den sichelförmigen Mond klar am Himmel stehen. Es würde ein sonniger Herbsttag werden. Das
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