Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
als von Lust – und ganz gewiss kein Zeichen von Liebe. Es konnte daher nicht überraschen, dass er jetzt in aller Öffentlichkeit auf sie zuging und Freundschaft heuchelte, schließlich wollte er bei seinem Freund Danube sicher nicht in Ungnade fallen. Im Grunde aber fand er ihr Verhalten selbst nach all den Jahren noch empörend, schlicht weil sie sein Anerbieten abgelehnt hatte.
Daher wusste sie nicht recht, wie sie auf seine letzte Bemerkung reagieren sollte. Ließe sie durchblicken, dass alles hätte anders kommen können, wenn sie Danube damals nicht begehrt hätte – eine geradezu absurde Vorstellung, da sich Jilseponie zur Zeit von Kalas’ Annäherungsversuchen weder für Danube noch für überhaupt jemanden interessiert hatte –, forderte sie damit wahrscheinlich nur weitere versteckte Avancen seinerseits heraus. Und bestritt sie die Möglichkeit, dass sich – unabhängig von Danube – überhaupt jemals etwas zwischen ihnen entwickeln könnte, brächte sie Kalas nur umso mehr gegen sich auf.
Also erwiderte sie gar nichts. Was Kalas zum Anlass nahm, munter weiterzuplaudern und über irgendein unbedeutendes Staatsgeschäft zu sprechen, eine Angelegenheit, die er auf seinen Reisen durch seine Provinz Wester-Honce erledigt hatte. Er sprach ganz allgemein und beiläufig, ja geradezu nüchtern, dennoch entging Jilseponie keineswegs, wie hartnäckig er bestrebt war, sich stets im günstigsten Licht darzustellen. Wenn es um Eigenwerbung ging, kannte der Mann keine Hemmungen. Jilseponie lauschte höflich, ihre Augen aber, die im Saal umherwanderten und das Treiben der zahlreichen anderen Gäste beobachteten, verriet, wie wenig Herzog Kalas sie in Wahrheit interessierte.
»Einen wundervollen Abend noch, Mylady«, schloss er ziemlich förmlich, bedachte sie mit einer knappen Verbeugung und empfahl sich.
Jilseponie sah ihm hinterher; einerseits war sie erleichtert, dass sie ihn abgewimmelt hatte, andererseits war sie klug genug zu wissen, dass sie sich in Zukunft im Gespräch mit Herzog Kalas geschickter würde verhalten müssen. Es war nicht zu übersehen, dass sie den Mann nicht sonderlich mochte, andererseits zählte ihr künftiger Gemahl ihn zu seinen engsten Freunden. Jilseponie brauchte lange, um sich diese Tatsache einzugestehen und sich klarzumachen, dass hier Großzügigkeit angebracht war. Schließlich war sie nicht den weiten Weg nach Ursal gekommen, um Zwietracht zwischen Danube und seinen Freunden und Gefährten zu säen.
Dazu hatte sie kein Recht.
Als ihr Blick aber durch den riesigen Bankettsaal wanderte, fiel er unweigerlich auf eine weitere enge Beraterin und liebe Freundin ihres künftigen Gemahls. Constance Pemblebury, überaus bezaubernd in einem langen Abendgewand, das ihre besten Züge aufs Vorteilhafteste zur Geltung brachte, amüsierte sich, elegant an ihrem Getränk nippend, unter Aufbietung ihres ganzen Charmes inmitten einer Gruppe von Männern und Frauen.
Constance Pemblebury, jene Frau, die in den Augen vieler an Danubes Hof dazu ausersehen war, Königin zu werden, jene Frau, die im Laufe der Jahre viele Male König Danubes Bett geteilt und ihm zwei Kinder geschenkt hatte – Kinder, die König Danube in die königliche Thronfolge eingesetzt hatte. Und nun war Jilseponie nach Ursal gekommen und hatte Constances ehrgeizigen Plänen, möglicherweise sogar ihrem Herzen, einen Riegel vorgeschoben. In den vergangenen Tagen hatte sie stets ein freundliches Lächeln für Jilseponie gehabt; hinter diesem äußeren Schein jedoch lauerte etwas weitaus Bedrohlicheres, wie Jilseponie spürte. Und tatsächlich, als sie Constance jetzt beobachtete, kreuzten sich ihre Blicke, und für einen winzigen Augenblick huschte ein Ausdruck der Verachtung, ja geradezu des Hasses, über ihr stark geschminktes Gesicht.
Jilseponie registrierte den Gesichtsausdruck, ohne sich jedoch länger damit aufzuhalten, denn in diesem Augenblick drängte sich eine andere Überlegung auf, an der das einzig Überraschende die Tatsache war, dass sie Constance zum ersten Mal mit diesen Augen betrachtete. Früher hatte sich Jilseponie stets bange gefragt, wie Constance sie wohl sehen mochte, hatte sich überlegt, wie sie ihr Verhältnis entkrampfen konnte, und zwar dem armen Danube zuliebe, der geradezu zwangsläufig zwischen sie geraten musste. Plötzlich aber sah sie in Constance nicht mehr die Person, die es zu beschwichtigen galt, sondern die Frau, die viele Nächte in den Armen und im Bett König Danubes zugebracht
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