Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
um Gnade bitten wollt, ich hab nichts dagegen. Ansonsten töte ich Euch gleich hier auf der Stelle.«
»Ich glaube kaum, dass ich diese jämmerlichen Dorfbewohner um irgendetwas bitten werde«, erwiderte De’Unnero ruhig. »Ebenso wenig verspüre ich allerdings den Wunsch, hier draußen zu sterben, fürchte ich.«
»Eine andere Möglichkeit habt Ihr nicht«, stellte Aydrian nüchtern fest.
»Dann wirst du mich wohl töten müssen, Junge«, erwiderte De’Unnero schmunzelnd.
Aydrian dachte einen Moment lang nach. Sämtliche Geschichten, die er gehört hatte, selbst die, die auf eine Verbindung zwischen diesem Wertiger und einem ehemaligen Bischof namens De’Unnero hindeuteten – einem Mann, der in anderen Geschichten als Mörder von Aydrians Vater bezeichnet wurde –, hatten in den höchsten Tönen von dem überragenden kämpferischen Können der menschlichen Erscheinungsform dieses Doppelwesens gesprochen.
Geradezu versessen darauf, ihm seinen verdienten Tod zu bescheren, sprang Aydrian blitzschnell vor und stieß zu – oder versuchte es zumindest. Doch noch bevor er mit dem Schwert zum Stoß ansetzen konnte, schnellte ein nackter Fuß nach oben, trat seitlich gegen die Klinge und lenkte sie ab.
Obwohl Aydrian ungeheuer schnell zurückwich und nicht einmal die Balance verlor, bedrängte ihn De’Unnero jetzt und ließ die Arme in geschmeidig kreisenden Bewegungen vor dem Körper rotieren. Sein Fuß schnellte hoch, um Aydrian ins Gesicht zu treten; als der Tritt zu kurz geriet, trat er erneut zu, dann noch einmal, und versetzte dem Arm des jungen Mannes einen peitschenschnellen, heftigen Tritt, der ihm fast das Schwert aus der Hand geschlagen hätte. De’Unnero griff weiter an – mit Händen, die wie beißende Schlangen zuckten, und gefährlich schnellen Tritten.
Aydrian holte mit seiner Klinge aus und schlug mit voller Wucht zu, doch De’Unnero bog den Oberkörper nach hinten, wand sein linkes Bein um Aydrians Schwertarm, stieß ihm die Zehen in den Ellbogen, trat mit seinem rechten, stärker angewinkelten Bein scherengleich nachsetzend zu und traf ihn mit einem heftigen Tritt am rechten Unterarm. Einem geringeren Gegner hätte dieser Tritt den Ellbogen zertrümmert. Der junge Hüter aber hatte eine ausgezeichnete Ausbildung genossen; er drehte seine Klinge nach innen, wechselte sein Schwert in seine linke Hand und schlug mit einer vollen Körperdrehung eine tückische Rückhand, ein gekonnter Hieb, der jedem anderen Gegner auf der Welt den Unterleib aufgeschlitzt hätte.
De’Unnero aber sah ihn kommen. Nachdem sein knochenbrechender Doppeltritt gescheitert war, stemmte er den linken Fuß in den Boden und trat, seinen Schwung durch einen Sprung nach hinten noch vergrößernd, mit seinem rechten Fuß weiter oben zu. Er überschlug sich, landete auf den Füßen, wirbelte herum und stellte sich dem erneut angreifenden Aydrian. Mit einer blitzschnellen Schlagkombination seitlich gegen Aydrians Klinge parierte er dessen Angriff und zwang ihn, zurückzuweichen.
Und dann verschwand De’Unnero aus seinem Blickfeld, so schnell, dass er kaum mitbekam, dass dieser sich überhaupt bewegt hatte. Rein instinktiv sprang Aydrian senkrecht in die Höhe, als der sich auf den Boden werfende Mönch mit einem weit ausholenden Tritt auf seine Beine zielte. An einem Fuß getroffen, fing Aydrian sein Straucheln mit einer Körperdrehung ab und landete sicher auf dem anderen Fuß. Abermals vollführte er, leicht geduckt, eine ganze Drehung.
Sein Gegner lag vor ihm hingestreckt auf dem Boden, verwundbar, geradezu hilflos. Aydrian erkannte die Hilflosigkeit des Mannes nicht etwa, weil er als Krieger einen besonderen Blick dafür gehabt hätte, sondern vielmehr an der Musik, die plötzlich in seinem Kopf erklang, einer schwungvollen, mitreißenden Melodie, die ihm jenseits allen Zweifels verhieß, dass der Sieg greifbar nahe war. Mit einer wuchtigen Körperdrehung legte er sein ganzes Gewicht in den tödlichen Stoß.
Einem zufälligen Beobachter wäre De’Unnero ganz sicher hilflos erschienen. Doch der ehemalige Mönch hatte seinen Körper ein Leben lang trainiert, um sich auch noch in aussichtslosen Lagen bewegen zu können. Damit hatte er sich den Ruf des größten Kämpfers erworben, der jemals durch die Tore der berühmten Abtei St. Mere-Abelle geschritten war – und das noch lange bevor der Wertiger von seinem Leib und seiner Seele Besitz ergriffen hatte. Den Widerstand des stark angewinkelten linken Beines benutzend,
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