Schattenelf - 1 - Der dunkle Sohn
Zufall sein.«
»In diesen Dingen kenne ich mich nicht aus«, sagte sie. Sie sah zu Aydrian hinüber, der jetzt wieder voll bei Bewusstsein war und seelenruhig am Baum lehnte, die Arme nach hinten um den dicken Stamm gebogen und gefesselt.
»Und dann noch sein Beutel mit den magischen Steinen«, fuhr De’Unnero fort und zeigte ihr den Beutel, den er dem jungen Hüter nach dessen Niederlage abgenommen hatte. »Außerhalb des Abellikaner-Ordens besaß nur einer einen solchen Beutel mit magischen Steinen, und die sind nach der großen Schlacht bei Chasewind Manor unter mysteriösen Umständen verschwunden.«
»Dann haben also die Elfen die magischen Steine gestohlen und diesem jungen Krieger mitgegeben?«, fragte Sadye ungläubig, denn sie hatte De’Unnero, all seinen Beteuerungen zum Trotz, unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht an Elfen glaubte. »Und damit womöglich einem Krieger, den sie ausgesandt haben, um den Tod Elbryans zu rächen?«
De’Unnero nickte, obwohl er sich seiner Sache alles andere als sicher war. Die Antwort hockte dort drüben, auf der anderen Seite des Weges, so viel war ihm klar. Den Beutel in der Hand ging er hinüber und kniete vor Aydrian nieder.
»Woher hast du die?«, fragte er.
Aydrian drehte den Kopf weg – woraufhin De’Unnero ihm augenblicklich ins Gesicht schlug.
»Gib mir irgendeinen Grund, dich am Leben zu lassen«, forderte De’Unnero ihn auf, packte ihn grob im Gesicht und bog seinen Kopf herum, sodass er ihm in seine blauen Augen sehen konnte – Augen, die ihm seltsam vertraut vorkamen. Noch immer drehte Aydrian den Kopf so weit wie möglich von dem ehemaligen Mönch weg. »Ich will dich nicht töten.«
Plötzlich sah Aydrian ihm fest in die Augen. »Ohne die Hilfe der Frau hättet Ihr mich niemals besiegen können«, fauchte er ihn wütend an.
Das überzogene Selbstbewusstsein des Jungen amüsierte De’Unnero. Sicher, das Können des jungen Kriegers hatte ihn beeindruckt; er wusste aber auch, dass er ihn zu Beginn des Kampfes unterschätzt hatte und gerade erst im Begriff gewesen war, seine wahre Stärke zu erkennen, als Sadye sich eingemischt hatte. Im Übrigen scherte es De’Unnero wenig, ob dieser junge Narr an seine eigenen Prahlereien glaubte oder nicht. In jüngeren Jahren hätte Marcalo De’Unnero ihn auf der Stelle losgebunden, ihm ein Schwert in die Hand gedrückt und ihn kurzerhand erschlagen. Aber jetzt, als er das Gesicht des jungen Kriegers festhielt, kam ihm der jüngere Marcalo De’Unnero von damals ein wenig unbesonnen vor.
»Woher hast du die Steine?«, wiederholte er und zeigte ihm den Beutel.
Wieder keine Reaktion.
»Wieso verweigerst du so hartnäckig jede Antwort?«, fragte De’Unnero. »Vielleicht bin ich ja gar nicht dein Feind, junger Narr, und vielleicht musst du auch nicht sterben.«
»Musste mein Vater denn sterben?«, fragte Aydrian unverblümt und sah ihn durchdringend an.
Das brachte De’Unnero kurz aus dem Konzept. Er war in dem Glauben gewesen, der Vater des jungen Kriegers müsse eines der Opfer des Wertigers gewesen sein, vielleicht einer der Männer aus Micklins Dorf oder einer der Straßenräuber, die damals an jenem schicksalhaften Morgen mit Sadye in den Ort geritten waren.
»Das weiß ich nicht«, antwortete der ehemalige Mönch wahrheitsgemäß. »Hatte er es denn verdient zu sterben?«
»Woher soll ich das wissen? Ich bin ihm nie begegnet«, erwiderte Aydrian ruhig und voller Bitterkeit.
Wieder lachte De’Unnero amüsiert. »Deine rätselhaften Antworten gefallen mir«, sagte er. »Aber wenn du nicht bereit bist, mehr von dir zu erzählen …«
»Nachtvogel«, unterbrach Aydrian ihn knurrend und brachte ihn damit ebenso wirkungsvoll zum Schweigen, als hätte er ihm die Zunge herausgerissen. »Mein Vater war Tai’marawee , der Nachtvogel. Und Ihr habt ihn getötet.«
De’Unnero brauchte eine ganze Weile, um sich davon zu erholen. Etwas Ähnliches hatte er bereits vermutet, trotzdem verwirrte es ihn zutiefst, jetzt die Bestätigung zu hören. »Und du bist also Tai’maqwilloq«, schloss er.
»Der Nachtfalke«, bestätigte Aydrian.
»Und wer ist deine Mutter?«, hakte De’Unnero sofort nach, doch Aydrian sah einfach fort.
Viel zu ungeduldig, um sich länger abweisen zu lassen, verpasste ihm De’Unnero einen weiteren Schlag ins Gesicht und bog seinen Kopf herum. »Es stimmt, ich habe mit deinem Vater gekämpft«, räumte er ein. »Es war – aus Gründen, die hier und jetzt zu
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