Schattenelf - 2 - Das Turnier
Constance Pembleburys Leichnam.
Dort angekommen, nahm er Kontakt zu der Toten auf, stellte eine Verbindung zu ihrem verstorbenen Geist her.
Er riss den gequälten Geist aus seiner letzten Ruhestätte, zwang ihn mit seiner Willenskraft, vorbei an den Schlossmauern auf den offenen Platz zu schweben, wo er Constances Geist Materie und sichtbare Gestalt verlieh.
Blinzelnd schlug Aydrian inmitten des wilden Getöses die Augen auf, als Soldaten gerade die Bühne umstellten, um den Ansturm der empörten Zuschauermassen aufzuhalten.
»Hast du das etwa gewollt?«, fragte ihn De’Unnero vorwurfsvoll. »Der König hat das Königreich in Aufruhr und Chaos gestürzt – was leicht zu einer Revolution führen könnte. Siehst du die Adligen? Siehst du, wie sehr sie sein Vorgehen missbilligen? Oh, Danube, dieser Narr!«
»Aber genau das war doch unsere Absicht«, sagte Aydrian mit Unschuldsmiene.
»War das etwa dein Plan?«, fragte De’Unnero höhnisch. »Begreifst du eigentlich nicht, dass Jilseponie dadurch in jedem Fall in Misskredit gerät? Begreifst du nicht, dass du dich soeben selbst jeder Möglichkeit beraubt hast, legal den Thron zu besteigen?«
»Das werden wir ja sehen«, erwiderte Aydrian grinsend, und noch während er dies sagte, wechselte das Geschrei vieler in der Menge die Tonart und schlug von wütender Empörung in etwas sehr viel Ursprünglicheres um – in absolutes Entsetzen.
Das Anschwellen dieser von einem ganzen bestimmten Bereich des Platzes kommenden Schreie ließ den Rest der Menschenmenge verstummen und bewirkte, dass aller Augen sich auf eben jene Stelle richteten, wo sich die Menge teilte wie der Ozean vor dem Bug eines gewaltigen Schiffes.
Abgerissen und schmutzig, totenbleich und fast vollkommen durchsichtig, näherte sich Constance Pembleburys Geist langsam und gemessenen Schrittes dem Galgenpodest und damit auch König Danube und Jilseponie.
Als Aydrians Blick dann von seinem heraufbeschworenen Geist zu König und Königin hinüberwanderte, sah er das Grauen in ihren Gesichtern; es war einer der erfreulichsten Anblicke, die er je erlebt hatte. Vor allem Danube wurde leichenblass und schien jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren.
»Allhearts nach vorn!«, kommandierte Herzog Kalas und bezog hektisch vor dem Galgen Posten; seine Kühnheit beflügelte ein paar andere, es ihm gleichzutun.
Constance marschierte glatt durch sie hindurch; ihre Schwerter schlugen in Nebel, ihre Hände griffen ins Nichts.
Dann war sie oben auf der Bühne und stand neben König und gefangener Königin.
Danube wich schwer atmend zurück und versuchte Jilseponie mitzuziehen. Die Königin aber, die über ein sehr viel tiefer gehendes Verständnis der Geisterwelt verfügte als ihr Gemahl, die Königin, die diese Schattenwelt bereits selbst betreten hatte, wich keinen Zoll zurück.
»Ich bin gefangen«, schrie Constances Geist, dessen gespenstische Stimme über den gesamten Platz hallte. Viele hatten bereits die Flucht ergriffen, die meisten jedoch waren, gebannt und überwältigt, stehen geblieben. »Mein eigener Betrug hält mich an diesem Ort gefangen.«
Danube straffte die Schultern und winkte Kalas und die anderen, die soeben allen Mut zusammennahmen und sich erneut anschickten, den Geist von ihrem König fern zu halten, mit einer Handbewegung zurück.
»Constance?« Mutig ging Danube dem Geist entgegen.
»Niedertracht bleibt niemals ohne Folgen«, erklärte der Geist und machte dabei einen verzweifelten, hoffnungslosen Eindruck. »Und meine eigene Niedertracht wiegt immer schwerer, je länger ich dies tatenlos geschehen lasse.«
Jilseponie trat neben ihren Gemahl, stellte sich unmittelbar vor den Geist. Natürlich hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie dies möglich war. Welche Magie war im Stande, einen Geist aus dem Jenseits zu befreien? Trotzdem hatte sie nicht den geringsten Zweifel, dass dies der Geist von Constance Pemblebury war.
»Das ist Euer Werk!«, fuhr Herzog Kalas, der seitlich hinter ihr stand, die Königin an.
Statt einer Antwort drehte sich Jilseponie halb herum und zeigte ihm ihre gefesselten und leeren Hände hinter ihrem Rücken.
»Königin Jilseponie trifft keine Schuld«, verkündete Constances Geist weinend, und alle auf dem Platz Versammelten konnten ihre Worte klar und deutlich verstehen. »Sie hat mit meinem Ableben nichts zu tun; mit meinem Tod, den ich eigenhändig vorbereitet habe, um …«
Der Geist, offenbar von Kummer und Entsetzen übermannt, geriet ins
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